Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:"Wir werden uns dem Sturm stellen"

Die britische Regierung tut, was die Finanzmärkte gefordert haben: Sie kürzt Ausgaben und erhöht Steuern. Schatzkanzler Jeremy Hunt versucht, Hoffnung zu wecken. Doch die Aussichten sind düster.

Von Alexander Mühlauer, London

Schon vor seinem Abflug aus Bali machte Rishi Sunak klar, was er nicht noch einmal erleben möchte: ein Chaos wie im Spätsommer. Da habe man gesehen, was passieren könne, wenn man die Dinge nicht im Griff habe, sagte der britische Premierminister beim G-20-Gipfel in Indonesien. Er brauchte erst gar keine Namen zu nennen, seine Botschaft war auch so eindeutig: Die Turbulenzen, die seine Vorgängerin Liz Truss mit ihren nicht gegenfinanzierten Steuersenkungsplänen an den Finanzmärkten ausgelöst hatte, sollen sich nicht wiederholen. Im Gegenteil: Er wolle die Erwartungen der Märkte erfüllen, sagte der Premier.

Und so legte die britische Regierung nach Sunaks Ankunft in London ziemlich genau das vor, was die Finanzmärkte, allen voran Hedgefonds, erwartet hatten: einen Plan, um ein Haushaltsloch von 55 Milliarden Pfund zu stopfen. Der Premier saß also am Donnerstagmittag auf der grünen Bank im Unterhaus und hörte seinem Finanzminister Jeremy Hunt zu, der die Regierungspläne vorstellte. Mit seinem "Autumn Statement" versuchte Hunt, den Scherbenhaufen aufzukehren, den Truss hinterlassen hat. Hunt drückte es so aus: "Wir werden uns dem Sturm stellen."

Einfach wird das nicht. Schon jetzt liegt die Inflationsrate im Vereinigten Königreich bei gut elf Prozent. Die Bank of England geht davon aus, dass Großbritannien vor einem länger anhaltenden Wirtschaftseinbruch steht. Hunt sagte, dass das Land laut der unabhängigen Haushaltsbehörde OBR bereits in einer Rezession stecke.

Hunt will die Freiheit nutzen, die der Brexit dem Land gebracht habe

Angesichts dieser düsteren Aussichten versuchte Hunt am Donnerstag so etwas wie Hoffnung zu wecken. "Das britische Volk ist widerstandfähig, erfinderisch und einfallsreich. Wir haben schon größere Herausforderungen gemeistert", sagte der Schatzkanzler. Um die Krise zu bewältigen, sollen jene mit den breitesten Schultern am meisten beitragen. Hunt kündigte an, die jährliche Einkommensschwelle für den Spitzensteuersatz von 45 Prozent zu senken - von 150 000 auf 125 140 Pfund. Das wird für höhere Staatseinnahmen sorgen, genauso wie die niedrigeren Freibeträge für Kapitalerträge.

Auch Unternehmen sollen dabei helfen, den Haushalt zu sanieren. Hunt kündigte an, die Übergewinnsteuer, die Energiekonzerne für sogenannte Kriegsgewinne zahlen, anzuheben. Künftig sollen Unternehmen 35 statt 25 Prozent an Steuern zahlen.

Insgesamt soll mit Hilfe von Steuererhöhungen gut die Hälfte der 55 Milliarden Pfund in die Staatskasse fließen. Die andere Hälfte will Hunt mit Ausgabenkürzungen einsparen. Dazu zählen etwa teure Infrastrukturprojekte, die unter dem früheren Premier Boris Johnson angekündigt worden waren. Ob auch die Verteidigungsausgaben sinken, ist noch offen. Hunt kündigte eine unabhängige Überprüfung an. Von dem Ziel der Regierung Truss, die Verteidigungsausgaben auf drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu steigern, war jedenfalls keine Rede. Hunt versprach lediglich, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato weiter einzuhalten.

Nichts einsparen will Hunt hingegen beim staatlichen Gesundheitsdienst NHS. Die Regierung will einen Plan vorlegen, wie viele Ärztinnen und Pfleger in den kommenden Jahren gebraucht werden - denn schon jetzt ist klar, dass der Mangel an medizinischem Personal nicht mit einheimischen Arbeitskräften gedeckt werden kann.

Bleibt die Frage, wie die britische Wirtschaft wieder wachsen soll. Hunt erklärte, dass die Regierung die Freiheit nutzen werde, die der Brexit dem Land gebracht habe. Er kündigte an, Regeln bei der Versicherungsaufsicht zu lockern, damit die Unternehmen bei Investitionen nicht so stark reguliert werden wie in der EU. Als weiteren Wachstumsfaktor nannte Hunt die Energiewirtschaft. Die Regierung will vor allem stärker in Offshore-Windparks investieren. Um die Klimaziele zu erreichen, soll auch der Ausbau der Atomkraft forciert werden.

Der gesetzliche Mindestlohn steigt um fast zehn Prozent

Zum Schluss seiner Rede versprach Hunt noch Hilfen für sozial Schwache und Geringverdiener. So wird der gesetzliche Mindestlohn von 9,50 Pfund auf 10,42 Pfund pro Arbeitsstunde steigen. Das entspricht einer Erhöhung von fast zehn Prozent. Renten und Sozialleistungen sollen gemäß der Inflation angepasst werden. Das Ziel der Regierung ist es, vor allem den Ärmsten im Land zu helfen, damit sie durch den Winter kommen. Hinzu kommt ein Preisdeckel für Strom und Gas, der seit Oktober allen Haushalten zugutekommt.

Als Hunt nach einer Stunde mit seinem Vortrag fertig war, meldete sich Rachel Reeves von der Labour Party zu Wort. Sie sprach den Tories jegliche Wirtschaftskompetenz ab. Denn es sei nun mal so: Die Konservativen regierten seit zwölf Jahren und seien deshalb für den Schlamassel verantwortlich, in dem sich das Land befinde.

Die Finanzmärkte reagierten nicht ganz so, wie es sich Sunak und Hunt erhofft haben dürften. Die Renditen britischer Staatsanleihen stiegen nach Hunts Rede leicht an. Das bedeutet, dass der Staat mehr zahlen muss, wenn er sich verschuldet. Und das britische Pfund verlor gegenüber dem US-Dollar an Wert, wenn auch nur leicht.

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