Großbritannien:Farage schrumpft unter Camerons Druck

The ITV Referendum Debate

Nigel Farage zeigt während der Brexit-Debatten der vergangenen Wochen immer wieder seinen Pass.

(Foto: ITV via Getty Images)
  • Premierminister Cameron und Ukip-Populist Farage treffen sich zur Brexit-Debatte im Fernsehen. Na ja, fast.
  • Farage spielt mit dem Thema Fremdenfeindlichkeit.
  • Cameron argumentiert mit der Wirtschaft gegen einen Austritt Großbritanniens aus der EU.

Von Thorsten Denkler

Den ganz großen Auftritt, den kann Nigel Farage. Der Anführer der hochgradig populistischen Ukip-Partei für ein unabhängiges Großbritannien kommt mit dem Bus zum Fernseh-Studio des britischen Bezahlsenders ITV. Mit seinem offenen Lila-Pro-Brexit-Kampagnen-Doppel-Decker-Bus, der übersät ist mit Sprüchen wie "Lasst uns den 23. Juni zum Unabhängigkeitstag machen" oder "Wir wollen unser Land zurück - Stimmt für Austreten". Und er, Nigel Farage, thront oben hinter der Windschutzscheibe im ersten Stock des Busses wie ein indischer Maharadscha auf seinem Elefanten. Kleiner Mann ganz groß.

Premierminister David Cameron, der wenig später eintrifft, steigt nur schnöde aus seinem Dienst-Jaguar, knöpft sich das Jackett zu und geht ins TV-Studio. Es ist an diesem Dienstagabend nicht wirklich ein Aufeinandertreffen der beiden führenden Figuren in der großen Brexit-Auseinandersetzung. Farage und Cameron werden lediglich nacheinander und jeder für sich Fragen aus dem Publikum beantworten. Kein Handschlag, keine Begrüßung, kein Auge in Auge. Es steht entweder der eine oder der andere im Studio. Ein Fernduell mit größtmöglicher Nähe.

Die Wahl ist eng mit Farage und Cameron verbunden

Am 23. Juni stimmen die Briten in einem Referendum darüber ab, ob sie in der EU bleiben wollen. Und die Wahl ist mit niemandem so eng verbunden wie mit diesen beiden ungleichen Politikern. Farage hatte mit seiner Ukip sehr überraschend die Europawahl 2014 als stärkste Kraft gewonnen. Cameron sah sich gezwungen, den Briten zur Unterhauswahl 2015 ein Referendum über die EU-Mitgliedschaft zu versprechen. Die Ukip blieb daraufhin weit hinter den Erwartungen zurück.

Farage ist in dem Fernseh-Fernduell als erster an der Reihe. Er bleibt seiner Linie treu, in der Abstimmung gehe es vor allem um Sicherheit. Und das bedeute - er zieht seinen Reisepass aus der Innentasche seines Jacketts -, dass dieser Pass wieder ein rein britischer werden müsse. Und kein EU-Pass bleiben dürfe.

Nicht jeder der über 500 Millionen EU-Bürger soll einfach so im Königreich leben und arbeiten können. Und schon gar nicht dürften so viele Flüchtlinge nach Großbritannien kommen wie nach Deutschland oder Schweden.

Farage warnt vor den Horden junger Ausländer

Farage spielt gerne mit dem Thema Fremdenfeindlichkeit. Er warnt in Zeitungen vor den Horden junger ausländischer Männer, die gerade über Deutschland herfielen und deutschen Frauen etwas antäten. Wenn die britischen Frauen für einen Verbleib in der EU stimmen, dann stimmten sie für ähnliche Zustände. Eine dunkelhäutige Zuschauerin fragt ihn, wie er denn zu so einer Aussage käme.

Farage macht, was Populisten dann gerne tun: Er stellt die Frage der Frau in die Hysteriker-Ecke, hebt dafür beide Hände, als wolle er einen rasenden D-Zug dazu bringen, etwas langsamer zu fahren. Sie solle doch bitte ein wenig herunterkommen. "Just, calm down there, a litte bit", sagt er. Nicht alles was in der Zeitung über ihn stehe, stimme auch so. Ganz Unschuldslamm, dieser Farage.

So wie er machen das hierzulande auch AfD-Politiker gerne. Erst provozieren - und es dann nicht gewesen sein wollen.

Im Grunde ist er, Farage, das Opfer. Er werde dämonisiert, weil er das Establishment angreife. Die Zuschauerin unterbricht: "Warum dämonisieren Sie Migranten?" Farage sagt, er habe doch lediglich festgestellt, dass nach Deutschland und auch Schweden viele junge Männer aus fremden Kulturen kommen, in denen das Verhalten gegenüber Frauen "anders" sei.

Farage: "Sie hören mir nicht zu, oder?"

Hat er etwas gegen Ausländer? Farage ist aufgebracht: "Darf ich Ihnen sagen, dass viele von Ihnen für meine Partei gestimmt haben in den vergangenen Wahlen!" - "Haben sie?", fragt die Zuschauerin dazwischen. Sie kann das nicht glauben. Farage: "Viele haben für uns kandidiert!" - "Haben Sie? Haben sie irgendwelche Beweise dafür, ein paar Zahlen vielleicht?", fragt die Frau. Gute Frage. Farage muss passen. "Sie hören mir nicht zu, oder?", sagt er. Doch, die Frau hat zugehört.

Auch David Cameron muss sich Fragen nach der Immigration gefallen lassen. Er ist ein konservativer Politiker. Alle Tore auf, das wäre sicher nicht seine Politik. Er hatte deshalb versprochen, die Zuwanderung stark einzuschränken. Stattdessen aber sind die Zuwanderungszahlen gestiegen. Vor allem EU-Ausländer kommen verstärkt nach Großbritannien.

Als Cameron vor den Zuschauern sagt, er habe keine Vorhersage über die Zuwanderungszahlen gemacht, rumort es im Publikum. Das haben sie wohl anders verstanden.

Cameron will darauf nicht herumreiten. Es gebe schlechte Einwanderungskontrolle und es gebe gute Einwanderungskontrolle, sagt er. Gut sei etwa, wenn Ausländer erst in die sozialen Sicherungssysteme einzahlten, bevor sie von ihnen profitieren können. So hat er es ja auch mit den anderen EU-Staaten verhandelt. Bleibt Großbritannien in der EU, dann sollen künftig EU-Ausländer erst nach vier Jahren Aufenthalt den vollen Zugang zu den Sozialsystemen erhalten.

Cameron: Vorhersagen treten nicht immer ein

Cameron geht es in seiner Argumentation vor allem um die Wirtschaft. Hier greift er Farage an: Der sei "so versessen darauf, aus der EU auszutreten, dass er bereit ist, dafür Jobs und Wachstum zu opfern". Vorhersagen treten nicht immer ein, gesteht Cameron zu. Aber es gebe einen selten breiten Konsens unter allen Wirtschaftsexperten: Wenn das Land die EU verlässt, wird es schlimm werden für Großbritannien.

Ein Brexit würde den Einfluss des Vereinigten Königreiches in der Welt verkleinern. Großbritannien müsse aber zu den führenden und den Gewinner-Nationen in Europa und der Welt gehören, sagt Cameron. "Die EU verlassen, käme einem Aufgeben gleich", sagt der Premier und versucht damit, an die Ehre der Briten zu appellieren. Denn die Briten, "die geben nicht auf. Wir sind Kämpfer".

Er jedenfalls wolle nicht "das Klein-England von Nigel Farage". Er wolle "ein Großbritannien". Cameron schrumpft Farage - darauf hätte vor diesem TV-Abend auch keiner gewettet.

Ob das alles hilft, die Briten am 23. Juni für einen Verbleib in der EU zu gewinnen? Nach dem Mini-Fernduell jedenfalls sind die Server für die Wähler-Registrierung zusammengebrochen. Die Seite war zeitweilig nicht zu erreichen. Das kann an den Auftritten von Cameron und Farage liegen. Oder einfach nur daran, dass am Dienstagabend um 24 Uhr die Registrierungsfrist abgelaufen ist.

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