English Defence League:Tribun der Steinewerfer und Plünderer

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„Prinzipiell stark“: Der rechte Aktivist Stephen Yaxley-Lennon (Mitte), bekannt als Tommy Robinson, bei einer Demonstration in London Ende Juli. (Foto: Henry Nicholls/AFP)

Tommy Robinson saß wegen Betrugs und Fälschens von Ausweispapieren schon Jahre im Gefängnis. Wie schafft es so einer, sich zu einem Wortführer der militanten Rechten zu machen?

Von Alexander Menden

Angesichts des medialen Getöses um Stephen Christopher Yaxley-Lennon, bekannt unter seinem kumpeligen Pseudonym Tommy Robinson, kann leicht in Vergessenheit geraten, dass er bis vor Kurzem nur noch innerhalb eines begrenzten Kreises von Bewunderern und Unterstützern Einfluss hatte. Der Mitbegründer der English Defence League (EDL) hatte sich jüngst nach einem verlorenen Verleumdungsprozess für pleite erklärt. „Tommy“ war irrelevant.

Dann kamen die Kindermorde von Southport, und Robinson, der sich gerade erst einem weiteren Prozess wegen Missachtung des Gerichts entzogen hatte, nutzte die Gunst der Stunde: Auf X schrieb er: „Wenn Briten ignoriert und als ‚rechtsextrem‘ abgestempelt werden, wenn die Sicherheit von Kindern keine Priorität hat und wenn kampffähige Männer aus fremden Ländern hierherkommen, um uns zu verarschen, dann muss etwas geschehen. Die britische Regierung ist schuld an diesem Problem, sie hat es selbst geschaffen.“

Der 41-Jährige hatte sich seit den ersten öffentlichkeitswirksamen Auftritten in seinem Heimatort Luton im Jahre 2009 vor allem drei Themen auf die Fahne geschrieben: Bekämpfung des Islams in Großbritannien, Aufdeckung organisierten Kindesmissbrauchs – insbesondere weißer Mädchen durch Männer nahöstlicher Herkunft – und die angebliche Überfremdung des Vereinigten Königreichs durch „unkontrollierte Immigration“.

Robinson relativierte die Straßengewalt, indem er die Schuld dafür auf die angeblich unfähige Regierung abwälzte. Als elitenkritischer Apologet der Krawalle machte der vielfach vorbestrafte Robinson sich so zu einer Art Volkstribun. Sein Name wurde von den Steinewerfern und Plünderern gerufen.

Zahlreiche Überschneidungen mit rassistischen und nationalistischen Gruppierungen

Robinson war früher Mitglied der rechtsextremen British National Party. Seine Ansichten haben zahlreiche Überschneidungen mit rechtsradikalen, rassistischen und nationalistischen Gruppierungen. Doch die Attraktivität seiner Botschaft in Krisenzeiten geht darüber hinaus. Aufgrund der engen Beziehungen zwischen den Gemeinschaften, die in den Sozialsiedlungen Lutons zusammenlebten, war die EDL tolerant gegenüber irischem Katholizismus, der sonst von englischen Rechtsradikalen als angeblich IRA-nah bekämpft wird. Sie akzeptierte auch Angehörige ethnischer Minderheiten als Mitglieder. Das hat es Robinson ermöglicht, sich als Antirassist zu präsentieren.

Sein Immigranten-Bashing, seine Definition von Männlichkeit, sein krimineller „Meinungsfreiheits-Aktivismus“, der vor allem darin bestand, Bilder von Angeklagten in Kindesmissbrauchsfällen zu veröffentlichen und damit den Prozessverlauf erheblich zu gefährden, verfing bei einer Minderheit von Menschen, oft aus der Arbeiterschicht, die einen Kristallisationspunkt für ein tief empfundenes, aber diffuses Gefühl der Benachteiligung suchten. Wie die Ausschreitungen erneut beweisen, entlädt sich die Wut dieser Menschen allerdings fast schon reflexartig zuerst in Gewalt gegen Briten muslimischen Glaubens.

Dabei war Tommy Robinsons eigene antiislamische Haltung durchaus wandlungsfähig. Im Januar 2023 nahm er an einer Londoner Demonstration gegen die Verbrennung des Korans durch einen rechtsextremen Aktivisten in Schweden teil. Statt die Koran-Schändung zu unterstützen, wie er es früher getan hätte, unterhielt er sich nun mit den muslimischen Demonstranten und stellte Fragen, als „interessierter Beobachter“, wie er sagte.

Robinson ist mittlerweile der Meinung, der Islam sei für viele Menschen so attraktiv, „weil sie nach etwas suchen, das prinzipiell stark ist und sich behaupten kann“. Es ist nur oberflächlich betrachtet ein Paradox, wenn er einerseits den westlichen Niedergang beklagt, andererseits aber Gemeinsamkeiten zwischen seinen eigenen Ansichten und bestimmten Formen des konservativen Islam feststellt. Darin ähnelt er anderen identitären Figuren wie dem Deutschen Götz Kubitschek, der ein ebenso ausgesprochener Freund des „geistigen Bürgerkriegs“ ist wie Robinson.

Der Brite ist genauso entschieden wie viele muslimische Eltern gegen den Lehrplan an britischen Schulen, der zu Toleranz gegenüber der LGBTQ-Community anleitet. Diese Sympathie für eine Kultur des unwidersprochenen Patriarchats hat einen anderen Superstar toxischer Männlichkeit, den Influencer Andrew Tate, sogar im vergangenen Jahr dazu gebracht, publicitywirksam zum Islam zu konvertieren. Und sie betrifft nicht nur Gender-Themen. Auch Feminismus und „Kulturmarxismus“ gehören dazu, ebenso wie Globalisierung und alles, was als „woke“ eingestuft wird.

Bei all diesem verwirrenden Kulturkampf-Wortgeklingel sollte man aber nie vergessen, dass Tommy Robinson auch handfeste finanzielle Interessen verfolgt. Nach vielen Anklagen, sei es wegen Betrug, Besitz von Drogen und gefälschten Ausweispapieren, Stalking oder der Gefährdung eines Gerichtsprozesses, ist es ihm gelungen, sich als politisch Verfolgter zu gerieren – und mit dieser Opfermasche Spenden zu sammeln. Manche Schätzungen gehen von Millionen aus. Auch deshalb kann es sich der angebliche Bankrotteur derzeit wohl leisten, seine Social-Media-Posts von einem Luxusresort auf Zypern aus abzusetzen.

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