Großbritannien:Schon wieder Drama in London

Lesezeit: 2 Min.

Abtritt: Der britische Vize-Premierminister Dominic Raab verlässt den Regierungssitz. (Foto: Chris J Ratcliffe/Getty Images)

Vize-Premierminister und Justizminister Dominic Raab muss wegen Mobbings sein Amt niederlegen. Es ist bereits der dritte Rücktritt, seitdem Rishi Sunak Premierminister ist.

Von Michael Neudecker, London

Adam Tolley hat keinen Twitter-Account, so viel muss schon mal gesagt werden über den Mann, der nun für den dritten Rücktritt in der britischen Regierung in den vergangenen sechs Monaten gesorgt hat. Keinen Twitter-Account zu besitzen heißt, eher wenig Interesse an öffentlicher Aufmerksamkeit zu haben. Wohl auch deshalb ist der Anwalt Tolley von Premierminister Rishi Sunak vor Monaten mit dieser Aufgabe betraut worden: in einer Untersuchung den zahlreichen Mobbing-Vorwürfen gegen Vizepremier Dominic Raab nachzugehen, die aus seinem Ministerium vorgebracht wurden. Am Freitag, ein paar Stunden, bevor Tolleys Bericht veröffentlicht wurde, hatte Raab mitgeteilt, er werde von seinem Amt als Vize-Premierminister und Justizminister zurücktreten. Seinen eineinhalb Seiten langen Rücktrittsbrief veröffentlichte Raab, ganz nach Gepflogenheit in Großbritannien, auf Twitter.

Er fühle sich verpflichtet, das Ergebnis des Berichts zu akzeptieren, schreibt Raab, aber: Der Bericht sei "fehlerhaft" und schaffe einen "gefährlichen Präzedenzfall", indem "die Messlatte für Mobbing so niedrig gelegt" werde. Tolley habe festgestellt, "dass ich in den vergangenen viereinhalb Jahren nicht ein einziges Mal geflucht oder irgendjemanden angeschrien habe, ganz zu schweigen davon, Dinge auf jemanden geworfen oder andere physisch bedroht zu haben". Er entschuldige sich, wenn sich jemand gestresst gefühlt habe. Aber er sehe es nun mal als seine Aufgabe, hohe Ansprüche zu stellen. Der Tonfall des ganzen Briefes ist bemerkenswert: Raab schreibt aus der Perspektive eines fassungslosen Opfers.

Nahezu zeitgleich mit seinem Rücktrittsbrief veröffentlichte der Telegraph einen von Raab selbst verfassten Beitrag, in dem er die ganze Sache als "kafkaeske Saga" beschreibt. Normale Regeln von fairer Beweisführung seien ignoriert worden, es handle sich um eine konzertierte Aktion gegen ihn. Bedeutungsschwerer Schlusssatz: "Das Volk wird den Preis dafür bezahlen." Britische Politik ist selten arm an Drama.

Raab habe sich aggressiv verhalten und seine Macht missbraucht, steht im Bericht

Schon am frühen Nachmittag ernannte Sunak den 46-jährigen Alex Chalk, bisher Staatssekretär im Verteidigungsministerium, zum neuen Justizminister. In seiner Antwort an Raab schrieb Sunak, er sei "traurig", dass Raab zurücktrete. Gleichzeitig wies er auf sein bei Amtsantritt im Oktober gegebenes Versprechen hin, Integrität und Verantwortlichkeit als oberste Prinzipien zu verfolgen. Sunaks Sprecher ließ sich später allerdings trotz mehrmaliger Nachfrage nicht darauf festlegen, ob Sunak nun mit Tolleys Bericht übereinstimme - oder doch mit Raabs Bewertung.

Adam Tolley gilt als renommierter Anwalt mit Expertise in Wirtschafts- und Arbeitsrecht. Zu seinen Klienten zählte auch schon der heutige König Charles. In seinem 48-seitigen Bericht stellt er unter anderem fest, Raabs Verhalten sei "bei mehreren Gelegenheiten einschüchternd oder beleidigend" gewesen. Er habe sich aggressiv in Meetings verhalten und immer wieder seine Macht missbraucht. Der ganze Bericht ist eine im sachlichen Ton eines Juristen geschriebene Vernichtung. Der SZ sagte ein Civil Servant am Freitag, Raab sei wegen seines fragwürdigen Verhaltens bei den Beamten extrem unbeliebt gewesen. Es herrsche einerseits Erleichterung über Raabs Rücktritt, aber auch Enttäuschung und Verärgerung über Raabs Ton in seinem Brief.

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Sunak wollte nach dem Chaos unter seinen Vorgängern Boris Johnson und Liz Truss eigentlich für Ruhe sorgen, aber nun ist Raab bereits das dritte Kabinettsmitglied seit seinem Amtsantritt, das zurücktreten muss. Der für das Kabinettsbüro zuständige Minister Gavin Williamson musste sein Amt im November vergangenen Jahres niederlegen, nachdem er sich mit deftigen Worten beschwert hatte, nicht zur Beerdigung der Queen eingeladen worden zu sein. Dem ebenfalls dem Kabinett angehörenden Parteichef Nadhim Zahawi wiederum wurde - wie nun auch Raab - eine Untersuchung wegen Verstößen gegen den Verhaltenskodex zum Verhängnis, wobei es in seinem Fall um zu spät gezahlte Steuerschulden in Millionenhöhe ging.

Alle drei, Williamson, Zahawi und Raab, waren von Sunak selbst auf ihre Posten berufen worden. Dass in Raab nun einer von seinen treuesten Unterstützern gehen muss, macht die Sache für den Premierminister nicht leichter. Sunak soll, so berichten mehrere britische Medien am Freitag unter Berufung auf interne Quellen, Raab nicht zum Rücktritt gedrängt haben.

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