Großbritannien:Die Spesenritter von Westminster

Fernseher, Pornos und Mäusegift: Eine Affäre um Abrechnungen erschüttert das britische Unterhaus.

G. Kröncke

Nick Clegg, Chef der Liberaldemokraten im britischen Unterhaus, ging hart zur Sache. In seiner Klage über all die Spesenritter von Westminster empörte er sich über die Raffgier der Abgeordneten und Minister. "Die Bürger werden resignieren angesichts dieser Politiker, die sich bestenfalls lächerlich machen und schlimmstenfalls korrupt sind", räsonierte er im Wortgefecht mit Premier Gordon Brown.

Großbritannien: Tory-Chef David Cameron hat eingeräumt, dass auch Abgeordnete der Oppositionspartei zweifelhafte Spesenabrechnungen eingereicht haben.

Tory-Chef David Cameron hat eingeräumt, dass auch Abgeordnete der Oppositionspartei zweifelhafte Spesenabrechnungen eingereicht haben.

(Foto: Foto: Reuters)

Nun hat sich auch Parteiführer Clegg lächerlich gemacht. Im Spesen-Skandal spielt er offenbar eine Hauptrolle. Der Daily Telegraph rechnete vor, wie der Liberaldemokrat Clegg seine Kosten abwälzte. Für die Hypothekenraten seines Hauses, monatlich über tausend Pfund (1100 Euro), kam der Steuerzahler ebenso auf wie für die Nebenkosten beim Hauskauf, etwas mehr als 9000 Pfund. Eine neue Küche brauchte es, es musste renoviert werden, ein Teppichboden wurde verlegt, neue Vorhänge waren nötig, eine neue Garagentür, und wie erst der Garten aussah: Die Gärtnerkosten gingen in die Tausende. "Nick Clegg nutzt die Spesenforderungen bis zum äußersten Limit", kommentierte das Blatt. Es war, wie das meiste, was jetzt zutage kommt, nicht illegal, es war nur gierig.

Dabei verdienen sie nicht schlecht, die britischen Abgeordneten, nachdem sie sich neulich eine Diätenerhöhung genehmigt haben. Andererseits sind 61.820 Pfund im Jahr vielleicht nicht die Welt, wenn einer in Handel und Gewerbe oder als Investmentbanker ein Vielfaches verdienen könnte. Über die haben sie sich genug aufgeregt, im Unterhaus und im Wahlkreis. Nun erschrecken die Wähler über ihre politische Klasse.

Immer wieder Neues

Die Enthüllungen ziehen sich seit Wochen hin. Einmal war bekannt geworden, dass ein Konservativer in einem Londoner Wahlkreis seine beiden studierenden Söhne als Assistenten und seine Frau als Sekretärin bezahlen ließ. Vorigen Monat gab es die amüsantere Variante von Spesenmissbrauch. Da musste sich der Mann von Innenministerin Jacqui Smith dafür entschuldigen, dass er sich an Pornofilmen erfreut und seine Frau die Leihgebühr als dienstliche Ausgaben abgerechnet hatte.

Wie das alles herauskam? Aus einem Parlamentsbüro war eine Diskette mit allen Spesenabrechnungen aller 646 Abgeordneten abhandengekommen. Der Daily Telegraph hat sie offenbar gekauft, über den Preis mag die Chefredaktion nicht reden. Doch die Investition machte sich bezahlt. Viele Spesenabrechnungen bewegen sich haarscharf am Rande der Legalität. Zum Beispiel fiel auf, wie oft britische Handwerker Reparaturen für 249 Pfund ausführten.

Bis vor kurzem, so die Erklärung, mussten Rechnungen erst ab 250 Pfund vorgelegt werden. Zudem kassierten die Abgeordneten ihre 400 Pfund Lebensmittelzuschuss, die ihnen zustehen, wenn sie in London sind, auch während der Parlamentsferien. Das sind für manchen wohl nur Peanuts, aber auch Peanuts sollten schließlich korrekt abgerechnet werden.

Auch Gordon Brown bekam rote Ohren. Dass er eine Klempner-Rechnung zweimal eingereicht hat, ist inzwischen bereinigt worden. Und dass er seinem Bruder Andrew Brown zwei Jahre lang die Reinemachefrau bezahlte, hat sich auch aufgeklärt. Er und sein Bruder, ein Manager bei einem Energiekonzern, hätten sich angeblich die Putzhilfe geteilt.

Alle Möglichkeiten ausgenutzt

Im Übrigen sind Abgeordnete aus allen Parteien ins Zwielicht geraten. Besonders attraktiv ist für sie wohl die Sache mit dem Zweitwohnsitz im Wahlkreis. Da kann man ein Haus auf Staatskosten renovieren, wenn alles proper und der Wert des Hauses gestiegen ist, verkauft man es. Eine Abgeordnete ließ ihr Strandhaus, kurz nachdem sie es zum Zweitwohnsitz erklärt hatte, für 22.000 Pfund gegen Schwammbefall behandeln. Danach hatte sie in vier Jahren drei weitere Zweitwohnsitze, die nacheinander auf Staatskosten eingerichtet und renoviert wurden. Eine Juniorministerin brauchte für drei Zweitwohnsitze nur ein Jahr.

Alistair Darling, der Finanzminister, kennt die Regeln aus dem Effeff - und hat sie auch für sich selbst genutzt. Kulturminister Andy Burnham drängte auf prompte Zahlung seiner Spesenansprüche - Notarkosten, Grundbuchgebühren und was sonst dazu gehörte -, weil sich seine Frau sonst scheiden ließe.

Fein raus ist offenbar der Chef der Konservativen David Cameron. Neben seinen Abgeordnetenbezügen bekommt er als "loyaler Führer Ihrer Majestät Opposition" ein Extra-Salär von 70.000 Pfund. Überraschenderweise reicht ihm das. Er setzt nun Parteifreunde unter Druck. "Bestürzt" sei er, dass Konservative die Kosten für Swimmingpools und Tennisplätze abgerechnet hätten, das werde zurückgezahlt, fordert er. Seine Partei werde sich für neue Spesenregeln einsetzen. Und wer sich daran nicht halte, "der ist nicht länger Mitglied der Konservativen."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: