Großbritannien:Die Gefahr eines chaotischen Brexit steigt

Nach dem angekündigten Rückzug der britischen Premierministerin May beginnt der Kampf um ihre Nachfolge.

Von Björn Finke, London

Großbritannien: „Die größte Ehre meines Lebens“: Unter Tränen kündigte Theresa May ihren Abschied vom Parteivorsitz der Tories an – und damit letztlich auch vom Amt der Premierministerin.

„Die größte Ehre meines Lebens“: Unter Tränen kündigte Theresa May ihren Abschied vom Parteivorsitz der Tories an – und damit letztlich auch vom Amt der Premierministerin.

(Foto: Alastair Grant/AP)

Großbritannien bekommt im Juli einen neuen Premierminister. Die bisherige Amtsinhaberin Theresa May kündigte in einer emotionalen Rede am Freitag an, die Führung der Konservativen Partei am 7. Juni abzugeben. Danach bestimmen die Tories einen neuen Partei- und Regierungschef. Die Parteimitglieder sollen bis Ende Juli einen Nachfolger wählen. Dann beginnt auch die Sommerpause des Parlaments. Bis dahin bleibt die 62-Jährige Premierministerin. Der ohnehin mühsame Brexit-Prozess dürfte damit noch komplizierter werden. Die Gefahr eines ungeregelten Austritts am 31. Oktober steigt.

May sagte vor ihrem Amtssitz in 10 Downing Street, sie werde "die Aufgabe abgeben, die für mich die größte Ehre meines Lebens bedeutete". Unter Tränen drückte sie ihre Dankbarkeit dafür aus, "dass ich die Chance hatte, dem Land zu dienen, das ich liebe". Die Konservative, die das Königreich seit fast drei Jahren führt, wollte ursprünglich erst im Juni einen Zeitplan für ihren Rückzug präsentieren. Doch in den vergangenen Tagen hatten sie Abgeordnete und Minister massiv unter Druck gesetzt, schneller den Weg frei zu machen.

May fand im Unterhaus keine Mehrheit für den Austrittsvertrag, auf den sich London und Brüssel in langen Verhandlungen geeinigt hatten. Von Januar bis März stimmte das Parlament dreimal gegen das Abkommen, das die Bedingungen der Trennung regelt. May unterlag jedes Mal, weil Anhänger eines harten Brexit in ihrer eigenen Fraktion ihr die Unterstützung verweigerten. Die Premierministerin wollte das Unterhaus Anfang Juni zum vierten Mal votieren lassen. Sie machte dabei der größten Oppositionspartei Labour Zugeständnisse beim Brexit-Kurs, allerdings vergeblich: Die Sozialdemokraten kündigten an, trotzdem gegen die Vorlage zu stimmen. Zugleich erzürnte Mays Manöver viele Konservative, die deswegen auf einen raschen Abgang drangen.

Ohne gültiges Abkommen droht Großbritannien ein ungeregelter Brexit. Die vereinbarte Übergangsphase, in der sich wenig ändern soll, fiele weg; stattdessen würden sofort Zölle und Zollkontrollen eingeführt - zum Schaden der Wirtschaft. May bat Brüssel daher, den Austrittstermin zu verschieben. Nun ist der 31. Oktober als Scheidungsdatum festgesetzt.

Die konservative Fraktion wird vom 10. Juni an in mehreren Abstimmungen zwei Kandidaten für den Spitzenposten küren. Diese werden sich in Veranstaltungen im ganzen Land der Parteibasis vorstellen. Die 125 000 Mitglieder wählen dann im Juli Mays Nachfolger. Anfang September kehrt das Parlament aus der Sommerpause zurück.

Beim alles beherrschenden Thema Brexit vertreten die Mitglieder der Konservativen eine deutlich härtere Linie als die Mehrheit der Fraktion oder May. Deswegen gilt es als wahrscheinlich, dass der neue Premier aus dem Lager der Brexit-Hardliner stammen wird. Favorit ist der frühere Außenminister Boris Johnson. Eine Kernforderung dieses Lagers lautet, den ungeliebten Austrittsvertrag neu zu verhandeln. Verweigert sich Brüssel, solle das Königreich die EU eben ohne Abkommen verlassen, heißt es. Doch die Europäische Union schließt es bislang aus, den Vertrag wieder aufzuschnüren. Darum könnten Brüssel und London im Herbst auf einen Konflikt zusteuern.

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