Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Der Spion, der aus der Hitze kam

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Richard Moore, Ex-Botschafter in der Türkei, leitet nun den britischen Geheimdienst MI6. Die Personalie hat viele Beobachter überrascht, die eher damit gerechnet hatten, dass ein Vertrauter von Premier Johnson den Posten bekommt.

Von Tobias Matern, München

Als vor mehr als 20 Jahren ein Mann namens John Dearlove zum Chef des britischen MI6 aufstieg, war das dem Guardian noch einen überaus ironischen Text wert: Dearlove sei ein solcher Allerweltsname und der Mann könne einen dermaßen perfekt-austauschbaren Lebenslauf aufweisen, dass es sich nur um eine Finte handeln könne, befand das Blatt. Der Geheimdienst wolle die vom Glamour der James-Bond-Filme geblendeten Briten wohl "zum Einschlafen bringen", lästerte die Zeitung. "Der Spion aus dem Vorort" sei die perfekte, einlullende Tarnung für einen brillanten Schlapphut.

Drei Chefs später tritt nun ein gewisser Richard Moore an die Spitze des MI6, womit der britische Auslandsgeheimdienst sich zumindest in zweierlei Aspekten treu bleibt: Wieder ein relativ wenig glamourös klingender Name, und auch im 111. Jahr seines Bestehens geht der Chefposten des Auslandsgeheimdienstes an einen Mann. Auch da ist die Fiktion der Realität voraus, schließlich war Judi Dench als "M" schon für sieben Folgen James Bonds Chefin.

Richard Moore, 57, war bislang politischer Direktor im Auswärtigen Amt in London, zuvor Botschafter in der Türkei, weshalb man ihn in Anlehnung an John Le Carrés Buch vielleicht auch als "Spion, der aus der Hitze kam" titulieren könnte. Überhaupt sind in den britischen Blättern durchgängig positive Beschreibungen von Moores Lebenslauf zu finden: Er war demnach für den MI6 bereits auf einigen Auslandsstationen - etwa in Vietnam, Pakistan und Malaysia. Es handele sich aber zumindest um eine überraschend Personalie, befindet der dieses Mal ironiefreie Guardian, Beobachter in London hätten damit gerechnet, dass ein Vertrauter von Premierminister Boris Johnson aus dem Heimatschutzministerium zum Chef des MI6 aufsteigt. Aus dem Regierungsviertel gab es Lob für Moore, eine namentlich nicht genannte Quelle spricht von einem neuen Geheimdienstchef, der die "Empathie eines Insiders und die Perspektive eines Außenseiters" mitbringe - das sei die perfekte Mischung für den Job. Moore war nicht nur Botschafter und auf zahlreichen Auslandsposten, sondern auch schon als stellvertretender nationaler Sicherheitsberater für die Regierung tätig. Außenminister Dominic Raab sagte, Moore kehren nun zum MI6 zurück "mit außergewöhnlicher Erfahrung". Er werde die "Arbeit von Männern und Frauen leiten, deren unermüdlicher Einsatz in der Öffentlichkeit kaum gesehen werden, die aber entscheidend für die Sicherheit und den Wohlstand des Vereinigten Königreichs sind".

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SZ vom 31.07.2020
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