Süddeutsche Zeitung

Wahlen in Großbritannien:Letzte Chance verpasst

Jeremy Corbyn ist zu anständig, zu handzahm, um Premier Johnson im letzten Fernsehduell vor der Wahl wirklich gefährlich zu werden. Johnson hingegen spielt seine Lieblingsrolle: sich selbst.

Von Cathrin Kahlweit, London

Es war die letzte Fernsehdebatte vor der Wahl am 12. Dezember, und es war vermutlich auch Jeremy Corbyns letzte Chance, die Sache noch einmal zu drehen: Würde der Labour-Chef den Premier so in die Enge treiben, dass der große Vorsprung der Tories schrumpft? Oder würde Boris Johnson mit seinem Lieblingssatz "Let's get Brexit done", den er allein in dieser BBC-Debatte 13 Mal wiederholte, die Zuschauer mitnehmen und einwickeln?

Boris Johnson macht seit Wochen Wahlkampf mit zwei, drei schlichten Parolen. Er versichert, sein Brexit-Deal sei "großartig", Labour würde, sollte die Opposition die Wahl gewinnen, einmal mehr das Land ruinieren, und Labour-Chef Jeremy Corbyn wisse nicht, was er wolle. Johnson weicht Fragen nach Details eines künftigen Freihandelsabkommens mit Brüssel aus, er dementiert, dass viele seiner Zahlen nicht belegt und die Investitionsversprechen der Tories in ihrem Wahlprogramm nicht finanzierbar, dass Steuersenkungen nicht haltbar und die Folgen des Brexits nichts absehbar sind. Bisher ist er damit durchgekommen. "Let's get Brexit done" verfängt bei den Wählern. Sie wollen keine Details, sie wollen das Thema vom Tisch haben. Aller Vernunft zum Trotz.

Corbyn musste also dagegenhalten, er musste aggressiv sein, den Tories ihre Bilanz aus zehn Jahren Austeritätspolitik vorhalten und Johnson als Spieler, als Lügner, als Luftnummer entlarven. Er musste seine Brexit-Position gut begründen und erklären, warum Labour keine Truppe von wildgewordenen Sozialisten ist, sondern das Land aus seiner Misere befreien und mit einer engagierten Sozialpolitik die grassierende Armut bekämpfen will.

Es ist ihm nicht gelungen. Dabei hatte Corbyn nichts zu verlieren. Wäre er aggressiver gewesen, hätte er sich nicht ständig von Johnson Versäumnisse von Labour vorhalten lassen, die mehr als ein Jahrzehnt zurückliegen, hätte er Johnson seine ganzen Halbwahrheiten in Sachen Brexit vorgehalten, hätte er eine Chance gehabt. Aber das, was seine Anhänger am Labour-Chef mögen und was seine Kampagnenchefs bisweilen in die Verzweiflung treibt, dominierte auch in dieser TV-Debatte: Corbyn war anständig, argumentativ, zahlenfixiert, und handzahm. Der Guardian schrieb, Corbyn sei "ernsthaft, nüchtern und besorgt über die Tory-Pläne" gewesen. Über Johnson urteilte das Blatt: Er habe sich präsentiert wie ein "Staubsaugervertreter". Der Premier kommunizierte mit dem Publikum, suchte Augenkontakt, lächelte viel. Johnson sei langweilig, aber effektiv gewesen, so das Urteil, Corbyn habe nicht wirklich punkten können.

Boris Johnson gab also den Typus Mann, den er am liebsten mag: den Politikdarsteller und Entertainer Boris Johnson. Ein paar ausweichende Antworten, ein paar flott gerittene Attacken, ein paar freundliche Scherze. Johnson war besser als in den letzten Runden, besser vorbereitet, mit mehr Punchlines. Corbyn war Corbyn: gut, aber nicht gut genug.

Umfragen direkt nach der Sendung zeigten das Schisma, in dem sich das Land seit mittlerweile drei Jahren befindet: Johnson kam auf Zustimmungswerte von 52, Corbyn auf 48 Prozent. Das war auch bei der vergangenen großen Diskussion zum Wahlkampfauftakt auf ITV so: Johnson kam auf 52 Prozent, Corbyn auf 48. Das ist bekanntlich auch das Ergebnis des Brexit-Referendums von 2016 gewesen. Großbritannien, so will es scheinen, ist verflucht: Mehr als dieser knappe Anstand will es nicht werden.

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