Großbritannien:Labour will nur eins: Johnson stürzen

Großbritannien: Alles deutet derzeit darauf hin, dass die Tories um Premier Johnson schon Neuwahlen planen.

Alles deutet derzeit darauf hin, dass die Tories um Premier Johnson schon Neuwahlen planen.

(Foto: AP)
  • In Großbritannien droht Premier Johnson mit einem No Deal.
  • Um das zu verhindern, wollen einige Abgeordnete möglicherweise Anfang September ein Misstrauensvotum durchführen.
  • Danach könnte es Neuwahlen geben - unklar ist, ob vor oder nach dem geplanten Brexit am 31. Oktober.
  • Möglich ist aber auch, dass Johnson nach einem Misstrauensvotum einfach weiter im Amt bleibt. Dagegen könnte das Unterhaus nichts tun.

Von Cathrin Kahlweit, London

John McDonnell, zweiter Mann hinter Labour-Chef Jeremy Corbyn, sieht seinen Parteivorsitzenden schon in der Downing Street. Sollte es, was immer wahrscheinlicher wird, nach der Sommerpause im britischen Parlament ein Misstrauensvotum gegen den neuen Premier Boris Johnson geben, werde er Corbyn im Notfall in ein Taxi setzen und direkt zur Queen schicken, so McDonnell. Um ihr mitzuteilen: "Wir übernehmen."

So geht das natürlich nicht, zumindest diese Formalitäten sind streng geregelt: Ein neuer Premier fährt als Bittsteller zur Queen, die ihn, so er über eine Mehrheit im Unterhaus verfügt, zum neuen Regierungschef ernennt. Aber die Botschaft des Schatten-Finanzministers von Labour war klar: Wir werden uns, sollte Johnson seine Mehrheit verlieren, nicht auf eine Regierung der nationalen Einheit einlassen. Wir werden keinen Rebellen von der Tory-Seite mitwählen, wir wollen nur eins: dass Johnson gestürzt wird, und dass Jeremy Corbyn und die Labour-Partei die Macht im Land übernehmen.

Hintergrund der Äußerungen sind die Drohungen aus Downing Street, einen No-Deal-Brexit am 31. Oktober auch gegen den Willen des Parlaments zu erzwingen - sowie die Abwehrmaßnahmen der Abgeordneten, die das nicht zulassen wollen. Gibt es bis zum letzten Tag im Oktober kein modifiziertes Austrittsabkommen und hat das Parlament den bestehenden Vertrag nicht akzeptiert, tritt Großbritannien ohne Vertrag aus der EU aus.

Johnson hat seit seinem Amtsantritt vor etwas mehr als zwei Wochen nur eine Botschaft: Wir werden gehen, in jedem Fall - zur Not auch ohne Abkommen, wenn die EU nicht einknickt. Die Parlamentarier, die in einem No Deal mehrheitlich eine Katastrophe sehen, überlegen nun, wie das verhindert werden kann. Diskutiert wird, ob die Parteitage, für welche die Abgeordneten traditionell eine Auszeit im September nehmen, gestrichen werden, um für den Kampf gegen No Deal noch mehr Zeit zu haben. Möglich ist schon vorher ein Misstrauensvotum am 3. oder 4. September, bei dem aber - neben allen Oppositionsparteien - auch Tory-Abgeordnete gegen den eigenen Partei- und Regierungschef stimmen müssten. Zwar hat Johnson nur eine Stimme Mehrheit, aber unter den Labour-Abgeordneten könnte der eine oder die andere mit Johnson für einen No Deal stimmen. Die Lage ist nach wie vor unübersichtlich.

Sollte das Votum aber erfolgreich sein, hätte Johnson 14 Tage Zeit, um sich eine neue Mehrheit im Parlament zu suchen; dass ihm das gelingt, gilt als unwahrscheinlich. Dann könnte das Parlament versuchen, einen neuen Premier zu küren. Ausweislich der Ankündigung von Labour, nach einem erfolgreichen Misstrauensvotum umgehend zur Queen zu fahren, ist das aber unwahrscheinlich. Was bleibt, sind - mitten im zu erwartenden Chaos einer No-Deal-Vorbereitung und wachsender Hysterie im Land - vorgezogene Neuwahlen. Das Team um Johnson soll planen, diesen Neuwahltermin auf einen Tag nach dem 31. Oktober zu legen, damit ein neuer Premier den Austritt nicht mehr verhindern kann. Johnson hat sich dazu auf mehrmalige Nachfragen nicht geäußert. Der BBC sagte er am Donnerstag, es gehe darum, den Wählerwillen umzusetzen - und die Wähler hätten sich 2016 für den Brexit ausgesprochen. Denkbar ist auch, und auch das hat Downing Street nicht zurückgewiesen, dass Johnson trotz des Misstrauensvotums im Amt bliebe; das Unterhaus könnte dagegen nichts tun.

Alles deutet derzeit darauf hin, dass die Tories eben diese Neuwahlen - mit Johnson im Amt - schon planen. Finanzminister Sajid Javid hatte Anfang des Monats mehr als zwei Milliarden Pfund für zusätzliche Notfallplanungen freigegeben. Zudem hat die Regierung 1,8 Milliarden für das Gesundheitssystem angekündigt, die Einstellung von 20 000 neuen Polizisten, zusätzliche Ausgaben für Schulen und Kommunen. Javid will zudem die Budgetplanung im September dahingehend überprüfen, ob nicht weitere Mittel für zusätzliche Ausgaben zur Verfügung stehen.

Ein No Deal gegen den Willen des Parlaments könnte selbst überzeugten Brexiteers übel aufstoßen

Labour beginnt daher parallel auch schon, das Land auf einen Wahlkampf einzustimmen. Anzeigen werden geschaltet, in denen Johnson als notorischer Lügner dargestellt wird. Zudem hat sich Jeremy Corbyn mit einem Brief an den obersten Verwaltungschef des Landes, Mark Sedwill, gewandt und mitgeteilt, Labour sehe in den bevorstehenden Ausgaben, welche die Tories planten, Wahlgeschenke aus Steuermitteln - die aber wären, so die Regel, im Wahlkampf verboten.

Boris Johnson, schrieb Corbyn in seinem Brief, plane "einen verfassungsfeindlichen und undemokratischen Machtmissbrauch". Der Labour-Chef beharrt darauf, dass - wenn das Land die Europäische Union tatsächlich mitten in einem Wahlkampf verlassen sollte -, die Regierung eine Verlängerung der Austrittsphase mit Brüssel vereinbaren und den Wählern die Entscheidung darüber überlassen müsse, ob sie weiterhin einen Brexit möchten, womöglich sogar einen vertragslosen Austritt.

Laut dem Guardian sind aber auch innerhalb des Tory-Lagers nicht alle Verantwortlichen von der Idee vorgezogener Wahlen begeistert. Einerseits ist die Regierung mit ihrer einen Stimme Mehrheit kaum handlungsfähig, andererseits wächst die Skepsis bei den Konservativen, dass die Bevölkerung eine Tour de force, wie sie Johnson und seine Berater planen, goutieren könnte. Ein erzwungener No Deal gegen den Willen des Parlaments - das könnte selbst überzeugten Brexiteers übel aufstoßen.

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