Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Berlin muss um die Herzen der Briten werben

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Einfach abwarten, wie die Briten beim Brexit-Referendum abstimmen werden? Weil man sich auch selber Einmischung von außen verbitten würde? Klingt schlüssig. Ist aber falsch.

Kommentar von Stefan Braun

In Berliner Regierungskreisen gibt es derzeit viele Fatalisten. Sie erklären seit Wochen mit Blick auf den drohenden Brexit in Großbritannien, da könne man sowieso nichts mehr machen. Jeder deutsche Versuch, die Befürworter der EU dort zu stützen, helfe nur deren Gegnern. Deshalb bleibe einem gar nichts anderes übrig, als den 23. Juni, den Tag der Abstimmung, so gelassen wie möglich abzuwarten. Diese resignative Sicht fußt auch auf der vermeintlich völkerrechtlichen Begründung, man müsse sich beim nationalen Votum eines anderen Landes heraushalten; schließlich würde man sich selber Einmischung von außen auch verbitten. Klingt schlüssig. Falsch ist es trotzdem.

Es ist keineswegs ausgemacht, dass jede Äußerung aus Berlin, Paris, Rom automatisch Wasser auf die Mühlen der Brexit-Befürworter sein muss. Selbstverständlich wäre jeder Satz, der wie eine schulmeisterliche Warnung an das britische Volk aussieht, ein Konjunkturprogramm für alle Brexit-Freunde. Noch dazu, wenn derlei aus Deutschland käme. Was aber wäre, wenn die deutsche Kanzlerin, der französische Präsident, der italienische Regierungschef gemeinsam um die Briten werben würden? Was wäre, wenn sie - zeitlich abgestimmt oder gar bei einem gemeinsamen Auftritt - erklärten, dass sie auf eine EU mit einem starken Großbritannien setzen? Dass die Union und Großbritannien nur gemeinsam wirtschaftlich stark bleiben? Und nur gemeinsam weltweit etwas für Demokratie und Menschenrechte erreichen werden? All das könnten sie tun und unter Beweis stellen, dass sie bei allen Schwächen, die es in jedem Land gibt, um die Herzen der Briten kämpfen möchten. Es wäre ein Bruch mit der herrschenden Lethargie. Und es wäre eine Antwort auf jene Kraft in der EU, die vom Gegeneinander profitiert, weil für das Miteinander kaum noch jemand eintritt.

Dieses Referendum geht doch nicht nur Großbritannien etwas an

Falsch ist es überdies auch zu behaupten, bei dem Referendum handele es sich allein um eine innere Angelegenheit Großbritanniens. Technisch mag das stimmen; abstimmen können nur die Briten. Politisch aber geht es um das ganze Europa. Es geht um die Frage, ob der Kontinent die Kraft hat, seine Fähigkeiten zu bündeln, statt gegeneinander zu arbeiten. Das betrifft alle Gesellschaften von Sizilien bis Lappland. Wer da nicht den Mut und die Fantasie hat, mit Leidenschaft um die Unentschlossenen auf der Insel zu werben, kann die EU gleich aufgeben.

Die EU steckt in der größten Krise ihrer Geschichte. Kein Mensch kann voraussagen, ob sie angesichts der Flüchtlinge, des Euro-Schlamassels und der großen Konflikte in Syrien, in der Ukraine, in Nordafrika noch mal zusammenfindet. Aber im Kanzleramt, im Auswärtigen Amt und auch sonst in der Regierung befürchten alle, dass ein Ausstieg Großbritanniens die EU im Innersten gefährden würde. In Dänemark, den Niederlanden, Frankreich, Österreich warten starke EU-Feinde nur darauf, einen Brexit für eigene Ausstiegspläne zu nutzen. Es ist höchste Zeit, denen die eigenen Überzeugungen entgegenzuhalten.

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SZ vom 31.05.2016
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