Fünf Tage lang war Boris Johnson abgetaucht. Erst am Dienstagabend äußerte sich der britische Premier erstmals zu den Zuständen, die in seinem Land Kopfschütteln, Wut und mitunter auch Gewalt auslösen: Seit fast einer Woche stehen Autos in langen Schlangen vor den Tankstellen, jedenfalls dort, wo es noch Benzin gibt.
Johnson sagte in einem Fernsehinterview, dass er verstehe, wie "frustrierend und irritierend" die Situation sei. Er höre allerdings von der Industrie, dass sich die Lage verbessere. Und dann forderte er seine Landsleute auf, sich normal zu verhalten, also nur zur Tankstelle zu fahren, wenn man wirklich Sprit brauche.

Brexit:London droht EU-Bürgern ohne Aufenthaltsgenehmigung mit Rauswurf
Nach der Brexit-Übergangsphase soll jetzt die Einwanderungsbehörde durchgreifen: Wer keine Aufenthaltsgenehmigung besitzt, muss die Insel verlassen.
Doch auch am Mittwoch kam es vor den Zapfsäulen in Großbritannien zu Staus, besonders im Großraum London. Die Angst, das Auto nicht mehr volltanken zu können, führt noch immer zu Panikkäufen. Manche Menschen füllen nicht nur den Tank, sondern auch Kanister und Wasserflaschen mit Treibstoff.
Die Stimmung an den Zapfsäulen ist mancherorts sehr gereizt. In den sozialen Netzwerken werden Videos geteilt, in denen Menschen aufeinander losgehen. Ein Motorroller-Fahrer, der sich offenbar vorgedrängelt hatte, wurde von Autofahrern nicht nur beschimpft, sondern auch geschlagen. Auf einem Mitschnitt hat ein Mann ein Messer in der Hand.
Soldaten sollen nun Tanklaster fahren
Es waren wohl auch Bilder wie diese, die Johnson dazu brachten, sein Schweigen zu brechen. In 10 Downing Street war man in den vergangenen Tagen sehr zurückhaltend gewesen; man fürchtete, dass es mit den Panikkäufen nach einer Fernsehansprache von Johnson womöglich noch schlimmer werden könnte. Und so hieß das Motto in der Machtzentrale fürs Erste: Bloß kein Öl ins Feuer gießen.
Für Johnson kommt die Sprit-Krise zu einem unangenehmen Zeitpunkt. An diesem Wochenende beginnt der Tory-Parteitag, bei dem der Premier eigentlich Optimismus verbreiten wollte. Doch nun dürften die Folgen der Sprit-Krise das Treffen in Manchester überschatten.
Das Problem ist nicht, dass Benzin und Diesel in Großbritannien knapp würden; sondern dass es nicht genügend Lkw-Fahrer gibt, welche die Kraftstoffe an die Tankstellen transportieren können. Johnson wies am Dienstagabend darauf hin, dass es das Problem der "driver shortage" weltweit gebe. Anders als sein Verkehrsminister Grant Shapps benannte der Premier allerdings nicht den Brexit als einen der Gründe für den Mangel an Lkw-Fahrern. Shapps hatte erklärt, dass der britische EU-Austritt "zweifellos ein Faktor" sei.
Ein Anzeichen, dass die Regierung den Brexit durchaus als eine der Ursachen sieht, war die Kehrtwende am vergangenen Wochenende: London will nun doch 5000 Visa für Lkw-Fahrer ausstellen, allerdings nur für drei Monate. Wirtschaftsverbände bezweifeln deshalb, dass dies eine langfristige Lösung des Problems ist. Um die Lage kurzfristig zu entspannen, hat die Regierung das Militär in Bereitschaft versetzt. Soldaten sollen nun Tanklaster fahren und befüllen.
Wegen der Sprit-Engpässe wurden Forderungen laut, Ärzte, Krankenschwestern und Altenpfleger bevorzugt mit Benzin zu versorgen, damit deren Dienste gewährleistet würden. Dies lehnt Johnson bislang ab. Auch die Londoner Taxifahrer werden langsam ungeduldig. "Entgegen dem Wunschzettel von Boris Johnson wird es nicht besser", sagte der Chef der London Taxi Drivers Association, Steve McNamara, der BBC. Allein am Dienstag hätten 25 bis 30 Prozent der Taxifahrer in der Hauptstadt nicht arbeiten können.