Süddeutsche Zeitung

Großbritannien:Ausweis, bitte

Die Briten wählen, ohne sich identifizieren zu müssen. Das muss geändert werden - aber bitte richtig.

Von Christian Zaschke

Schwer vorstellbar, aber bisher konnte man in Großbritannien einfach in ein Wahllokal spazieren, einen Namen angeben und wählen. Man brauchte keinen Pass, nicht einmal eine Wahlkarte. Einzige Voraussetzung: Der angegebene Name musste im Wahlregister stehen. Diese Praxis will die Regierung ändern, indem Wähler künftig verpflichtet sein sollen, sich im Wahllokal zu identifizieren. Auf welche Weise, ist offen. Infrage kommen Reisepass, Führerschein oder auch Strom-, Gas- oder Telefonrechnungen.

Das erscheint auf den ersten Blick nur sinnvoll, hat aber einen Haken. Auf der Insel gibt es, anders als in Deutschland, keine Ausweispflicht. Viele Briten verfügen daher über keinerlei Pass. Die Labour-Partei hatte 2008 nach jahrelangen Diskussionen eine Art Personalausweis eingeführt, den die Konservativen nach ihrem Wahlsieg 2010 gleich wieder abschafften. Je nachdem, welche Form von Identitätsnachweis die Regierung einführt, könnten also viele Bürger künftig von den Wahlen ausgeschlossen sein.

Menschen ohne Pass oder Führerschein gehören in der Regel zu den ärmeren und bildungsfernen Schichten, also zu jenen, die sich von der Politik ohnehin abgehängt fühlen. Die konservative Regierung sollte sich sorgfältig überlegen, ob sie es diesen Menschen tatsächlich erschweren will, am demokratischen Prozess teilzunehmen.

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Quelle:
SZ vom 28.12.2016
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