Großbritannien:Aufruhr bei den Tories

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Ein umstrittenes Brexit-Gesetz, das internationales Recht brechen würde, stößt im Parlament auf Widerstand - selbst in Boris Johnsons Reihen.

Von Alexander Mühlauer, London

Boris Johnson (Mitte) verteidigt sein „Sicherheitsnetz", rechts Finanzminister Rishi Sunak. (Foto: Jonathan Buckmaster; Daily Expres/dpa)

Es war spät am Montagabend, als das Ergebnis der Abstimmung im Unterhaus bekanntgegeben wurde. Kurz nach 22.30 Uhr britischer Zeit war klar, dass die britische Regierung sich zumindest fürs Erste durchgesetzt hatte: 340 Abgeordnete stimmten für das umstrittene Binnenmarktgesetz. 263 Parlamentarier votierten dagegen. Auf den ersten Blick konnte Premierminister Boris Johnson zufrieden sein: Es gab eine deutliche Mehrheit von 77 Stimmen. Doch auf den zweiten Blick kann ihm dieses Ergebnis nicht gefallen haben: Denn bei diesen Stimmen waren einige der nordirischen DUP dabei. Und noch viel wichtiger: Es enthielten sich 30 Tory-Abgeordnete; zwei stimmten sogar gegen das Vorhaben der Regierung.

Mit dem Binnenmarktgesetz ("Internatal Market Bill") will Johnson den gültigen Brexit-Vertrag mit der Europäischen Union aushebeln - und damit internationales Recht brechen. Johnson machte in der Debatte vor der Abstimmung zur zweiten Lesung deutlich, um was es ihm geht: Er wolle die Integrität des britischen Binnenmarktes wahren. Dafür brauche es als "Sicherheitsnetz" dieses Gesetz. Nur so sei gesichert, dass der Warenverkehr zwischen Großbritannien und Nordirland künftig nicht gestört werde. Johnson hatte der EU vorgeworfen, in den Verhandlungen über ein Handelsabkommen mit einer Lebensmittelblockade gedroht zu haben.

Das Gesetz würde internationales Recht brechen, sagen Kritiker

Diese Anschuldigung nahm Ed Miliband von der Labour-Partei auf - und verwendete sie sogleich gegen den Premier. Wenn diese Drohung der EU schon so unglaublich sei wie Johnson vorgebe, warum habe der Premier dann selbst zugegeben, dass dieses Gesetz kein Mittel gegen eine solche Blockade sei, fragte Miliband. Und holte zum Frontalangriff auf Johnson aus: "Was für eine Inkompetenz! Was für ein gescheitertes Regieren!", rief er. Es gebe nur eine Person, die für all das verantwortlich sei: Johnson selbst. Doch der schüttelte nur den Kopf. Bereits vor der Abstimmung war die Aufregung in Westminster groß. Alle fünf noch lebenden ehemaligen Premierminister hatten sich gegen das Vorhaben der Regierung ausgesprochen. Sie fürchten um das internationale Ansehen des Königreichs, sollte die Regierung tatsächlich internationales Recht brechen. Auch der Ex-Generalstaatsanwalt Geoffrey Cox warf Johnson vor, die Reputation Großbritanniens zu beschädigen. Die geplante Einführung des Binnenmarktgesetzes sei unzumutbar, sagte der Tory-Abgeordnete der Times. Es gebe "keinen Zweifel" daran, dass die "unangenehmen" Folgen des Brexit-Abkommens schon bekannt gewesen seien, als Johnson es unterzeichnet habe.

Im Streit mit der EU geht es um die Regelung von staatlichen Beihilfen, die im Protokoll zu Irland und Nordirland festgelegt ist. Demnach gelten die EU-Wettbewerbsvorschriften für den Warenhandel zwischen Großbritannien und Nordirland. Das bedeutet, dass die britische Regierung verpflichtet ist, die EU-Kommission über alle Entscheidungen bei Staatsbeihilfen zu informieren, die Firmen in Nordirland betreffen. Außerdem müssen nordirische Unternehmen Exporterklärungen ausfüllen, wenn sie Waren nach England, Schottland und Wales liefern. Dass Nordirland damit einen Sonderstatus erhält, hatte Johnson im Wahlkampf geleugnet, obwohl er diese Regelung mit Brüssel ausgehandelt hatte.

Ob das Binnenmarktgesetz ohne Veränderungen das Unterhaus passiert, dürfte sich in der kommenden Woche zeigen. Am Dienstag wird über ein Amendment des konservativen Abgeordneten Bob Neill abgestimmt. Demnach würde das Parlament ein Vetorecht erhalten, sollte die Regierung tatsächlich internationales Recht brechen wollen. Von den 30 Tory-Abgeordneten, die sich bei der ersten Abstimmung am Montag enthalten hatten, kündigten einige an, sich diesem Vorschlag anzuschließen, um den Gesetzentwurf zu verändern. Johnson verfügt im Unterhaus zwar über eine Mehrheit von 80 Stimmen - aber selbst der für den Brexit zuständige Minister, Michael Gove, gab zu, dass der Abgeordnete Neill da etwas auf der Spur sei.

© SZ vom 16.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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