Großaufgebot der Polizei:Razzien gegen Neonazis

Hinter der Fassade einer "Hilfsgemeinschaft" agiert die derzeit größte Neonazi-Gruppierung Deutschlands. Bundesweit hat die Polizei heute die Wohnungen von Funktionären durchsucht. Das Innenministerium prüft ein Verbot der Organisation.

Mit Razzien in neun Bundesländern sind die Behörden am Dienstag gegen die derzeit größte Neonazi-Gruppierung in Deutschland vorgegangen. Die Aktion galt Funktionären, Mitgliedern und Anhängern der "Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige" (HNG), wie das Innenministerium in Berlin mitteilte. Durchsucht wurden rund 30 Objekte unter anderem in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

Bundesweite Razzia gegen neonazistische Gruppe

Beamte durchsuchen am Dienstag im baden-württembergischen Leinfelden-Echterdingen die Wohnung eines HNG-Funktionärs.

(Foto: dpa)

Die länderübergreifenden Durchsuchungen standen laut Ministerium im Zusammenhang mit der eingeleiteten Prüfung eines Verbots der 1979 gegründeten HNG, die laut aktuellem Verfassungsschutzbericht rund 600 Mitglieder zählt. Die HNG hat sich demnach die Unterstützung inhaftierter Rechtsextremisten zur Aufgabe gemacht. Dabei erfolge die Gefangenenbetreuung mit dem Ziel, auch während der Haftzeit die Einbindung der sogenannten "nationalen Gefangenen" in die rechtsextreme Szene aufrechtzuerhalten, sie in ihrer ideologischen Ausrichtung zu bestärken und nach ihrer Entlassung wieder in die Szene zu integrieren.

Auch in Bayern hat die Polizei im Zusammenhang mit bundesweiten Ermittlungen gegen Neonazis bei drei Razzien nach Beweismaterial gesucht. Durchsucht wurden drei Objekte in der Nähe Münchens sowie in den Landkreisen Kitzingen und Aschaffenburg, wie ein Sprecher des Innenministeriums in München mitteilte.

Weitere Durchsuchungen gab es laut Innenministerium in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Angaben zu den einzelnen Objekten und zur Zahl der eingesetzten Polizeikräfte machte das Ministerium nicht. Zwischenfälle bei den länderübergreifenden Durchsuchungen wurden nicht bekannt.

Überprüfung auf Verfassungsmäßigkeit

Innenstaatssekretär Klaus-Dieter Fritsche erklärte, rechtsextremistische Gruppierungen wie die HNG stünden "nicht auf dem Boden unserer Verfassung und bedrohen den gesellschaftlichen Zusammenhalt". "Die uns vorliegenden Erkenntnisse nähren den Verdacht, dass es der HNG in erster Linie darum geht, die häufig fragmentierte neonazistische Szene jenseits bestehender ideologischer Grabenkämpfe zu vernetzen und zu stärken." Inhaftierte Gesinnungsgenossen sollten während ihrer Haft nicht nur in der Szene gehalten, sondern weiter zu "Kämpfern gegen das System" aufgebaut werden. Die Durchsuchungen vom Dienstag würden zeigen, "ob sich unser Verdacht bestätigt und sich die HNG in aggressiv-kämpferischer Weise gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet", unterstrich Fritsche. "Wir werden dies sorgfältig prüfen."

Die HNG hat ihren Sitz in Frankfurt/Main, wird aber seit Jahren aus Mainz geleitet. In Niedersachsen leben nach Angaben des Landesamtes für Verfassungsschutz derzeit rund 50 aktive Mitglieder. Niedersachsen sei aber "kein Schwerpunkt der HNG". Die Organisation unterstützt inhaftierte Gesinnungsgenossen materiell und ideologisch, darunter auch zahlreiche Gewalttäter. In einer monatlich erscheinenden Schrift veröffentlicht der Verein regelmäßig die Namen der betreuten "nationalen Gefangenen".

"Die Monatszeitung beinhaltet neben Berichten über Demonstrationen auch eindeutig rechtsextremes Gedankengut", betonte die Sprecherin des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Konkrete Zahlen zu inhaftierten Rechtsextremen in Niedersachsen liegen laut Justizministerium nicht vor. "Die Anzahl derjenigen Gefangenen, die wegen politisch motivierter Straftaten inhaftiert sind, wird in den niedersächsischen Justizvollzugsanstalten nicht gesondert erfasst", betonte ein Ministeriumssprecher.

Auch über die Aktivitäten der HNG oder ähnlicher Organisationen gebe es in den niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen nur wenige Erkenntnisse. Lediglich in der Jugendanstalt Hameln sowie in den Justizvollzugsanstalten Vechta, Lingen und Sehnde seien Kontakte von Gefangenen zur HNG bekannt, hieß es weiter.

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