Die RAF-Spezialisten des Bundeskriminalamtes (BKA) sind ausgekochte Profis, und ihre Anregungen werden von der Bundesanwaltschaft meist akzeptiert. Als vor zwei Jahren im Mordfall des ehemaligen Generalbundesanwalts Siegfried Buback und seiner beiden Begleiter die Ermittlungen wieder aufgenommen wurden, schlugen die BKA-Beamten vor, gegen die ehemaligen Terroristen Friederike Krabbe und Rolf Heißler Verfahren einzuleiten.
Fingerabdrücke auf Bekennerbrief
Auf dem Original des Bekennerbriefes, der nach dem Anschlag im April 1977 verfasst worden war, seien Fingerabdrücke der beiden ehemaligen Desperados gesichert worden. Dies gehe aus einer alten Spurenanalyse eindeutig hervor. Die Karlsruher Strafverfolger prüften alle Unterlagen im Mordfall Buback auf etwaige Verstrickungen von Krabbe und Heißler und beschieden dann das BKA, sie könnten keinen Anfangsverdacht erkennen.
Das ist auf den ersten Blick nur schwer nachvollziehbar. Immerhin sitzt derzeit die frühere Terroristin Verena Becker wegen der angeblichen Beteiligung an dem Mordanschlag in Untersuchungshaft. Ihr wird im Wesentlichen vorgeworfen, dass sie zur Kommandoebene der RAF gehört habe und dass sie Kopien des Bekennerschreibens in der Hand gehabt hätte.
Doch der Fall ist noch weit komplizierter: Das Original des Bekennerschreibens wurde 1991 in einem Archivdepot der RAF in der Nähe von Utrecht gefunden, dessen Existenz bisher der Öffentlichkeit nicht bekannt war.
Es war auch eine Art Archiv der Bewegung mit Diskussionsbeiträgen aus den 70er und 80er Jahren, mit Landkarten, Skizzen, Pässen, Waffen, Munition - und eben auch dem Bekennerschreiben. Insgesamt wurden in diesem Archivdepot zwischen 1200 und 1600 Asservate sichergestellt, die sechs Taten der Bande zugeordnet werden können. Es ist damit das umfassendste Depot der RAF.
Bislang galt "Depot I" in Hessen als größtes RAF-Archiv
Bislang galt das Zentraldepot der RAF ("Depot I"), das im Herbst 1982 von Pilzsammlern im hessischen Heusenstamm entdeckt worden war, als die größte Sammelstelle mit tausend Asservaten. Es gab noch etwa ein gutes halbes Dutzend weiterer Verstecke, darunter das Depot "Daphne" bei Aumühle/Sachsenwald in der Nähe Hamburgs, das ebenfalls 1982 entdeckt worden war. Weil Terrorfahnder und die GSG9 damals die Verstecke diskret überwachten, konnten sie 1982 in der Nähe der Depots die drei Terroristen Adelheid Schulz, Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar festnehmen.
Zu dem Depot in Holland hatten ausweislich der Spuren etwa zwanzig RAF-Leute Zugang. Deshalb ist aus Sicht der Bundesanwaltschaft die Frage, welche Spur sich auf einem Original findet, nicht von allzu großer Bedeutung. Solche Papiere wurden zeitweise auch in konspirativen Wohnungen aufbewahrt, zu denen wiederum etliche Mitglieder der Bande Zugang hatten.
In Utrecht kam die Spitze der RAF häufig zu konspirativen Treffen zusammen und heckte dort Anschläge aus. Die Unterlagen in dem holländischen Archiv waren sorgfältig beschriftet und in Folien verpackt worden. Wegen der Feuchtigkeit wurden sie in Plastiksäcke gesteckt. Alle Einträge wurden in Listen festgehalten - wie es Archivare eben so machen. Normale Straftäter werfen belastendes Material weg, die RAF sammelte. Der Sinn eines Archivs war offenbar die Verwahrung von Wissen.
Ein Archivdepot ist daher auch eine Art Gedächtnis der Terrorbewegung. Aber macht es Sinn, den Bekennerbrief im Original aufzubewahren?