Alle Jahre wieder im Frühjahr, meist im Februar, kommt es zum gleichen Ritual. Es geht darum, den optimalen Grippe-Impfstoff für die kommende Saison vorzubereiten und herzustellen. Die beginnt zwar erst frühestens im September oder Oktober, doch die Produktion dauert fast ein halbes Jahr - und jede Saison muss es ein etwas anderer Impfstoff sein, abgestimmt auf die jeweils besonders dominanten Erreger. Also treffen sich die WHO-Experten und tragen wissenschaftliche Daten zusammen, die erahnen lassen sollen, welche Viren-Mixtur wohl im kommenden Herbst zuschlagen wird.
"Was die Herstellung angeht, gilt das, was für Impfstoffe immer gilt", sagt Susanne Stöcker, Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) im hessischen Langen. Dem Bundesinstitut unterliegt die Herstellung und Überwachung von Impfstoffen. "Der Prozess ist sehr komplex und dauert." Zunächst müssen die Viren angezüchtet werden, bei der Influenza sind das jedes Mal drei oder vier Arten, also auch drei oder vier Ansätze, die in Hühnereier gespritzt werden und sich dort rasch vermehren - und später zum trivalenten oder quadrivalenten Impfstoff führen sollen, also einem Impfstoff, der drei oder vier Virenarten erfasst.
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Anschließend wird die infektiöse Brühe entnommen, und die Viren müssen inaktiviert werden, damit von den späteren Impfstoffen keine Gefahr der Ansteckung mehr ausgeht. Danach, während der sogenannten Aufreinigung, muss die Lösung behutsam gesäubert werden, und Reste von Hühnereiweiß werden entfernt. Die genaue Formulierung der Dosis, Qualitätskontrolle und Konfektionierung nehmen weitere Tage und Wochen in Anspruch. "Die Zeit dafür liegt insgesamt nach wie vor bei etwa sechs Monaten", sagt Susanne Stöcker.
Das Problem an diesem gründlichen Herstellungs- und Reinigungsprozess besteht darin, dass sich die Viren draußen in der langen Zeit längst wieder verändert haben können. Viren sind extrem wandlungsfähig und äußerst schlampig in ihrer Vermehrung. Deshalb kommt es regelmäßig vor, dass der Impfstoff, der im Frühjahr konzipiert wurde, in Herbst und Winter nur noch zu vergleichsweise geringen Teilen wirkt. In der Grippesaison 2016/2017 wurde mit dem damaligen Impfstoff maximal noch ein 40-prozentiger Schutz erreicht und nur noch ein Teil des Erregerspektrums abgedeckt. Bei den Senioren, für die es besonders wichtig wäre, fiel der Schutz sogar noch geringer aus.
Im Jahr zuvor gab es mit nur 15 Prozent sogar noch weniger Impfschutz. "Wir haben uns von sehr niedrig auf ein niedriges Niveau gesteigert und sind immerhin besser als letzte Saison", sagte RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher anlässlich der bescheidenen Quoten vor Jahresfrist.
Auch Befürworter der Impfung geben deshalb zu, dass der Impfstoff nicht optimal ist, bei den vorhersehbaren Tücken der Produktion und den Launen der Natur aber auch niemals optimal sein kann. "Die Impfbereitschaft in der Bevölkerung liegt jährlich bei maximal 25 Prozent", sagt Udo Buchholz, Leiter des Monitoring-Portals Grippeweb beim Robert-Koch-Institut (RKI). "Das WHO-Ziel von 75 Prozent für ältere Menschen werden wir in Deutschland wahrscheinlich nicht so bald erreichen."
Maximal ein Viertel der Deutschen ist bereit, sich gegen Grippe impfen zu lassen
In den vergangenen drei Jahren waren zum Höhepunkt der Grippewelle maximal fünf Prozent der Bevölkerung an der Grippe erkrankt, unter den Kindern ist der Anteil allerdings höher gewesen und lag in der Saison 2016/17 bei elf Prozent, 2015/16 bei acht Prozent. Da in dieser Saison erst wenige Hundert Fälle von Influenza in Deutschland nachgewiesen wurden, ist unklar, wie gut die Impfung in diesem Winterhalbjahr wirken wird. "Was den Schutz angeht, kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht viel sagen", sagt Susanne Stöcker vom Paul-Ehrlich-Institut. "Bisher gibt es ja nur ganz vereinzelte Fälle." Im Februar, wenn die Grippewelle traditionell ihren Höhepunkt erreicht, zeichnet sich der Verlauf ab, dann gibt es die ersten Bilanzen zum aktuellen Grippe-Impfstoff.
Zwischen fünf und 20 Prozent der Bevölkerung machen jedes Jahr eine Grippe-Infektion durch, insofern ist es sehr wahrscheinlich, dass man im Alter von 40 oder 50 Jahren schon mal an der "richtigen" Grippe erkrankt war, auch wenn man sich nicht an das schwere Krankheitsgefühl erinnert. Aber gerade als leicht beeinträchtigter Infizierter steckt man unbemerkt andere Menschen an, etwa die immungeschwächte Oma, für die eine Infektion lebensbedrohlich werden kann. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt die Influenza-Impfung für alle jenseits der 60, für Schwangere ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel, für Menschen mit chronischen Leiden sowie für Bewohner von Alters- oder Pflegeheimen. Zusätzlich gilt die Empfehlung für medizinisches Personal und "Personen in Einrichtungen mit umfangreichem Publikumsverkehr".
Ob sich Menschen mit Vollkasko-Mentalität und hundertprozentigem Sicherheitsanspruch für eine Impfung mit so mickrigen Quoten entscheiden, ist Ansichtssache. Befürworter argumentieren, dass die Impfung zwar nicht perfekt wirkt, aber immerhin etwas Schutz bietet und zudem die Krankheit angeblich milder verläuft, falls doch jemand trotz einer Impfung erkranken sollte.