Griechenland wählt neues Parlament:Wahl zwischen Pest und Cholera - und doch ein erster Schritt

Gut möglich, dass nach der Wahl am Sonntag in Griechenland die alte auch die neue Regierung ist. Junge Visionäre, die den Karren aus dem Sumpf ziehen, sind nirgends in Sicht. Dennoch ist die Abstimmung ein erster Schritt in Richtung Umbruch. Das Land wird ein anderes sein - nur muss der aufgestaute Ärger der Menschen positiv genutzt werden.

Kai Strittmatter, Athen

Griechenland wählt. Gut so. Banken und Märkte mag die Wahl am Sonntag mit ihren Unwägbarkeiten nervös machen, für die Demokratie ist sie ein Segen. Es ist das erste Mal seit 2009, dass man die Griechen nach ihrer Meinung fragt, das erste Mal nach zwei Jahren Krise und Spardiktat, die ihr Leben auf den Kopf gestellt und dem Land breite Verelendung beschert haben. Diese Wahl ist kein Luxus, sie ist bitter notwendig.

Die Griechen gehen zur Wahl inmitten der tiefsten politischen, moralischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise, die die meisten von ihnen je erlebt haben. Und die Mehrzahl von ihnen geht in dem Bewusstsein, dass sie selbst einen Teil der Verantwortung tragen und sich ihr Land grundlegend wandeln muss. Wären doch nur ihre politischen Führer von derselben Erkenntnis durchdrungen - das Land wäre längst einen großen Schritt weiter.

Eigentlich ist die größte Überraschung, dass die beiden alten Klientelparteien, die sozialistische Pasok und die konservative Nea Dimokratia, den letzten Umfragen zufolge mit einer rechnerischen Mehrheit für eine neue Koalitionsregierung rechnen dürfen. Verdient hätten sie es nicht. Es waren diese beiden Parteien, die das politische und moralische Korsett des Landes so zugrunde richteten, dass der finanzielle Kollaps eine logische Folge war. Und es sind diese beiden Parteien, die bis heute die rechte Einsicht in ihr Tun vermissen lassen.

Deshalb wird der Wähler sie abstrafen, sie werden böse Stimmen verlieren. Wenn es für eine Regierung dennoch reicht, liegt das auch daran, dass die Griechen die Wahl zwischen Pest und Cholera haben. Die jungen, frischen Visionäre, die den Karren aus dem Sumpf ziehen, sind nirgends in Sicht. Und die beiden alten Parteien sind vielen Garant für einen Verbleib in der Euro-Zone. Dort wollen fast alle Griechen sein.

Das alte System zerfällt - aber was kommt dann?

Gut möglich also, dass die alte Regierung auch die neue ist. Und doch wird das Land nach der Wahl ein anderes sein. Die Protestwahl wird viele kleine Parteien ins Parlament spülen. Das alte System zerfällt - gut. Aber was kommt dann? Es gibt ermutigende Signale: Nicht einmal jeder Fünfte gab an, die Wahl verweigern zu wollen. Die Griechen haben also die Nase voll von ihrer politischen Kaste - aber nicht von der Demokratie.

Auch ist überall zu beobachten, wie sich die Gesellschaft ermannt: Die Bürger nehmen ihr Leben selbst in die Hand, mit neuen Ideen und neuem Mut. "Es ist wie mit einer Feder", sagt der Gründer einer Bürgerinitiative. "Du kannst die Menschen nur bis zu einem gewissen Grad zusammenstauchen. Dann schnellen sie zurück - da hat sich viel Energie angespeichert."

Nun kommt es darauf an, die Energie positiv zu nutzen. Denn wie groß die Gefahr ist, dass Zorn und Empörung ins Zerstörerische umschlagen, das zeigt der Aufstieg der Rechtsextremen. Der Neonazi-Partei Chrysi Avgi werden fünf Prozent prophezeit, insgesamt dürfen ausländerfeindliche Rechtspopulisten auf 20 Prozent hoffen.

Griechenland ist im Umbruch, die Wahl ist nur ein erster Schritt

Bei allem neuen Bürgersinn: Die Menschen brauchen den Aufbruch auch im Staat. Ein dysfunktionaler Apparat und eine planlose Regierung werden das Elend verschlimmern. Viel Anlass zur Hoffnung bot der Wahlkampf nicht. Von frischen Plänen, von Einsicht in die eigenen Fehler war kaum etwas zu hören.

Stattdessen alte Reflexe: Die Parteiführer lenken ab (mit Hilfe des Immigranten-Themas), zeigen mit dem Finger auf den politischen Gegner, die EU, oder suggerieren die Rettung durch einen Deus ex machina: den französischen Sozialisten François Hollande. Der nämlich werde im Falle seines Wahlsieges die Rettungspakete neu verhandeln und den Griechen zur Seite springen, so die Vorstellung.

Grund zur Hoffnung haben die Griechen erst dann, wenn sie von ihren Führern einmal diese Sätze hören: "Ich war Schuld." Und: "Ich pack's an." Griechenland ist im Umbruch, die Wahl am Sonntag ist da nur ein erster Schritt.

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