Süddeutsche Zeitung

Griechenland:Verbrannte Erde

Alexis Tsipras wollte im August das Ende der "Knechtschaft" feiern. Die Feste aber müssen wegen der 93 Brandtoten abgesagt werden. Diese Katastrophe hat all die alten Krankheiten des Landes bloßgelegt.

Von Christiane Schlötzer

Wer das Meer nur aus dem Urlaub kennt, für den ist es unschuldig. Nur Sonne, Salz, Wind und Wellen. Wer einmal vier Stunden im Meer um sein Leben geschwommen ist, wie viele Menschen im griechischen Mati, auf der Flucht vor dem Feuer in ihrer Stadt, für den hat das Paradies einen anderen Geschmack und Geruch. Der Einbruch eines Unglücks in den vertrauten Alltag bleibt ein Ereignis, das sich tief ins Gedächtnis gräbt, eines Menschen - eines ganzen Landes.

Ein solcher Einschnitt war 1999 in Athen auch das Erdbeben mit 143 Toten. Es hat bewirkt, dass Griechenland heute das wohl beste Erbebenvorsorgesystem in Europa hat, vom Schulunterricht bis zu den Bauvorschriften. Was den aktiven Brandschutz betrifft, war das bisher leider nicht der Fall. Sonst hätte es weniger Tote in Mati gegeben. 93 sind es jetzt, und immer noch kämpfen Menschen auf Intensivstationen um ihr Leben. Die Prävention ist das eine, das andere ist das Versagen staatlicher Akteure im Angesicht der Katastrophe. Retter in Panik, Behörden, die sich nicht über ihre Verantwortung einig sind - auch das bleibt von diesem griechischen Sommer in Erinnerung.

Dabei hätte es ganz anders laufen sollen. Die Regierung von Alexis Tsipras wollte den August für ein Fest nutzen, die Griechen sollten das Ende ihrer "Knechtschaft" feiern, die Wiedergewinnung ihrer Souveränität von den internationalen Kreditgebern. Für den 21. August waren, vor dem Feuer, Straßenfeste geplant. Denn am 20. August endet das dritte und letzte Milliardenprogramm für Athen, neun Jahre nachdem der damalige Premierminister Giorgos Papandreou eingestand, dass die Defizitzahlen Fake waren, dass der griechische Staat pleite war.

Was folgte, war ein wirtschaftlicher Niedergang, der ungefähr so lange dauerte wie die große amerikanische Depression der Dreißigerjahre. Die Krise schickte den Euro auf Höllenfahrt, auch deshalb wurden die Rettungspakete so rasch geschnürt. Athen bekam 260 Milliarden Euro, also fast so viele Finanzhilfen von EU und IWF wie alle anderen in Not geratenen Euro-Staaten zusammen. Ein großer Teil des Geldes floss zurück an europäische Banken, die Griechenland zuvor großzügig mit Geld versorgt hatten.

Es gab Warnzeichen, dass Athen schon lange über seine Verhältnisse lebte, aber die EU wollte sie nicht sehen. Als nichts mehr zu beschönigen war, zwangen die Retter das Land von 2010 an in ein Korsett, das vielen Griechen buchstäblich die Luft abschnürte. Die Krise veränderte Lebensläufe, verunsicherte, verstörte, nahm Arbeitsplätze oder einen Teil des Einkommens. Gut ausgebildete junge Leute verließen in Scharen das Land.

Wer Griechenland in diesen Jahren nur im Urlaub sah, merkte davon wenig, allenfalls die höhere Mehrwertsteuer schmerzte auf der Restaurantrechnung. Die Sparbeschlüsse trafen vor allem die Mittelklasse und die unteren Schichten. Dafür tragen aber nicht nur die Geldgeber, sondern auch alle Athener Regierungen die Verantwortung, weil sie bei der Lastenverteilung immer wieder die eigene Klientel schützten: höhere Beamte, Staatsbetriebe, Selbständige. Inzwischen ist die Steuerlast so hoch, dass sie fast alle trifft.

Nicht alle Reformideen wurden umgesetzt, aber einige entscheidende

Der Tourismus floriert schon seit ein paar Jahren wieder, auch in diesem Sommer, das verhilft Griechenland zu einem sanften Aufschwung, etwa zwei Prozent Wachstum werden bis Jahresende erwartet. Das ist dringend nötig, weil die ehrgeizigen Ziele für die weitere Abwicklung des Kreditprogramms sonst Luftbuchungen bleiben. Größter Unsicherheitsfaktor sind die vorgesehenen Haushaltsüberschüsse (ohne Zinskosten) von 3,5 Prozent bis 2022, und danach - bis 2060! - von 2,2 Prozent. Die griechische Zentralbank warnt schon, so hohe Überschüsse habe kein Land der Erde - ausgenommen die Erdölproduzenten - für so lange Zeit erreicht.

Gespart werden muss also weiter, und Kontrollen der Kreditgeber wird es auch noch geben, aber - so ist zu hoffen - ohne die penible, und oft auch entwürdigende Prozedur der öffentlichen Zurschaustellung des politischen Personals. Was die Verantwortung für die Ursachen der Krise betrifft, zeigen sich viele griechische Bürger heute bewusster als ihre politische Klasse. In einer Umfrage vom März diesen Jahres nannten circa 90 Prozent die "schlechte Qualität" und die Korruption der Regierungen als Krisengrund. Knapp 80 Prozent sagten, in den vergangenen acht Jahren seien die Griechen zu Reformen gezwungen worden, die sie alleine nie gemacht hätten.

Nicht alle Reformideen wurden umgesetzt, aber einige entscheidende. Die Steuerbehörde ist heute unabhängig, die Kontrolleure sind gefürchtet. Eine Radikalkur in Sachen Realismus hat auch Premierminister Alexis Tsipras absolviert, nachdem seine Linkspartei Syriza Anfang 2015 an die Macht kam. Sie gilt den Geldgebern heute als weitgehend verlässlicher Partner. Aber die alte griechische Krankheit des Klientelismus hat auch Syriza nicht ausgerottet. Und es ist zu befürchten, dass die Konservativen, die sich schon bereit machen, 2019 die nächste Regierung zu stellen, es nicht besser machen werden. Sie wirken nicht so, als hätten sie ihren Anteil am Entstehen der Krise schon aufgearbeitet.

Zukunftsgerichtete Politik kann unpopulär sein. Das zeigt leider auch das Beispiel Mati. Viele sagen jetzt, gäbe es einen vorausschauenden Staat, hätte es Mati nie gegeben, einen Ort, der so wild gebaut ist, dass er keine Notausgänge hatte. Jetzt soll alles besser werden: Gebäude ohne Genehmigung sollen abgerissen werden, es soll Schluss sein mit dem Schlendrian. Es wird geklärt werden, ob auch die Feuerwehr kaputtgespart wurde, oder ob - und dafür gibt es Anzeichen - es doch sehr schlechtes Management war, das auch die Retter in die Irre führte. Eine schonungslose Aufklärung sind alle Verantwortlichen den Toten und ihren Familien schuldig.

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Quelle:
SZ vom 11.08.2018
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