Süddeutsche Zeitung

Universitäten:Griechenland streitet über Campus-Polizei

Polizisten sollen an Hochschulen für Ordnung sorgen - wegen angeblicher krimineller Aktivitäten. Damit rührt die Regierung Mitsotakis an ein Trauma aus Zeiten der Militärdiktatur.

Von Tobias Zick, Thessaloniki

Anna-Maria Iliou wurde schon im Februar klar, dass die Dinge an ihrer Hochschule sich plötzlich in eine befremdliche Richtung bewegen. "Wir trafen uns auf dem Campus, um zu demonstrieren", erzählt die Journalistikstudentin. "Nichts Hochpolitisches. Wir protestierten dagegen, dass die Uni wegen der Corona-Maßnahmen immer noch geschlossen war. Wir forderten Präsenzunterricht. Und da ging plötzlich eine Horde Polizisten auf uns los. Die waren weit in der Überzahl."

Die Aristoteles-Universität in Thessaloniki ist Griechenlands größter Campus - und nach Ansicht der Regierung ein Ort, an dem dringend Ordnung geschaffen werden müsse. Wer in diesem Sommer über das weitläufige, sonnenverdorrte Gelände spaziert, vorbei an allerlei Graffiti mit Slogans wie "Bullen raus", trifft irgendwann auf ein Grüppchen von Männern in Uniform, die im Schatten sitzen und zuschauen, wie gerade absolut nichts passiert. Ihre Helme, Schilde und Gasmasken haben sie neben sich auf dem Boden abgelegt.

Ihre offizielle Aufgabe, so heißt es: Das Gebäude gegenüber, das zu einer Bibliothek für die biologische Fakultät ausgebaut werden soll, vor Randalierern schützen. "Ja, es waren vor einiger Zeit ein paar Arbeiter da, um etwas an dem Gebäude zu machen", sagt einer der Beamten auf Nachfrage. Seit Längerem sei aber niemand mehr gekommen.

Aus Sicht vieler Studentinnen und Professoren ist das mit der Bibliothek ohnehin nur ein Vorwand, zumal die biologische Fakultät bereits eine ansehnliche Bibliothek hat. Ein Vorwand? Nein, es komme doch auf dem Campus tatsächlich immer wieder zu Ausschreitungen und Sachbeschädigungen, erwidert der Beamte; gut also, dass man endlich da sei.

Die Polizei soll an immer mehr Hochschulen stationiert werden

Polizisten auf dem Campus: Das ist in Griechenland ein neuer Anblick, der reichlich politischen Konfliktstoff birgt. Die Männer hier an der Aristoteles-Universität sind die ersten Mitglieder einer neuen Polizeieinheit, die nach und nach an immer mehr Hochschulen das Landes stationiert werden soll. So hat es das Parlament in Athen im Februar 2021 mit Regierungsmehrheit beschlossen. Ziel: die "Prävention krimineller Akte".

Der konservative Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis sagte damals vor der Abstimmung: Es sei in Wahrheit "nicht die Polizei, die die Universitäten betritt, sondern die Demokratie". Als sein Amtsvorgänger Alexis Tsipras, Oppositionsführer von der linken Syriza-Partei, ihm entgegenhielt, das Gesetz sei "antidemokratisch", erwiderte der Premier: "Sagt mir, in welchem Land der Welt man so etwas sehen kann wie das Chaos an den griechischen Universitäten, das ihr geschaffen und aufrechterhalten habt." Bildungsministerin Niki Keraméos sekundierte, die Polizei werde nicht flächendeckend an allen Unis stationiert, sondern nur dort, wo es eine "gewisse kriminelle Aktivität" gebe.

Der Streit um die Campus-Polizei wühlt die Gemüter auch deshalb so stark auf, weil er an ein kollektives Trauma rührt. Am 17. November 1973 protestierten Studenten am Athener Polytechnikum gegen die damalige Militärjunta, ein Panzer durchbrach das Tor zum Campus, etwa zwei Dutzend Menschen starben. Der Aufstand und seine Niederschlagung gelten im Rückblick als der Anfang vom Ende des Militärregimes. Anfang der Achtzigerjahre machte die damalige sozialdemokratische Regierung den 17. November zum Nationalfeiertag - und führte per Gesetz das "Universitätsasyl" ein, das es der Polizei verbot, das Gelände von Hochschulen zu betreten, es sei denn, es liegen schwerste Straftaten vor. Im Falle geringerer Vergehen müssen zuerst Unileitung und Studentenvertretung zustimmen, was in der Praxis freilich so gut wie nie vorkam.

Kurz nachdem die Regierung von Kyriakos Mitsotakis 2019 ins Amt kam, ließ sie das Universitätsasyl per Parlamentsbeschluss abschaffen - mit der Begründung, es werde missbraucht, etwa von Kleinkriminellen, Vandalen und Drogenhändlern, die sich auf dem Campus vor polizeilicher Verfolgung versteckten. Gegen das Gesetz vom Februar 2021, das die Einrichtung der Hochschulpolizei vorsieht, haben zahlreiche Professorinnen, Studenten und Verwaltungskräfte Sammelklagen eingereicht. Griechenlands oberstes Gericht wies sie im Mai dieses Jahres zurück: Die vorgesehene Polizeipräsenz gefährde weder die akademische Freiheit noch die Selbstverwaltung der Universitäten.

Professoren rügen, der Staat wolle die Hochschulen dem Markt unterwerfen

Zu der Zeit, als das Urteil gefällt wurde, hatten sich die Proteste gerade wieder zugespitzt. An der Aristoteles-Universität in Thessaloniki protestierten Studierende gegen den geplanten Bau der neuen Bibliothek, es kam zu Übergriffen durch gewaltbereite Autonome - wobei Kritiker mutmaßen, es könnte sich dabei um Provokateure im Dienste der Sicherheitskräfte gehandelt haben. Der Rektor rief die Polizei, um die Besetzung des Geländes zu beenden. Bei den Ausschreitungen, die dann folgten, wurde ein Student durch eine Blendgranate verletzt. Die Befürworter der neuen Polizeieinheit sahen sich allerdings durch die Eskalation in ihrer Position bestätigt, dass an den Hochschulen des Landes dringend Ordnung geschaffen werden müsse.

Die Gegner dagegen protestieren weiter. "Soweit ich weiß, ist die Kriminalitätsrate an griechischen Universitäten nicht höher als in anderen europäischen Ländern", sagt Sotiris Sotiropoulos, Chemieprofessor an der Aristoteles-Universität und Geschäftsführer der Professorengewerkschaft: "Der wahre Grund für die Stationierung der Polizei ist nicht, uns vor Kriminellen zu schützen." Die Regierung wolle vielmehr auf diese Weise Proteste gegen ihre jüngsten Hochschulreformen unterdrücken, vermutet Sotiropoulos: Griechenlands Universitäten werden privatisiert, Studiengebühren eingeführt. "Das hat zur Folge, dass Studierende aus weniger wohlhabenden Schichten sich ihre höhere Bildung schlicht nicht mehr leisten können."

Er kämpfe bereits seit drei Jahrzehnten gegen derartige Reformpläne, pflichtet ihm sein Kollege Alexis Benos bei, Professor für Medizin, "aber so aggressiv wie jetzt war es noch nie". Die neue Polizeieinheit sei Teil einer "ausgefeilten Strategie, um die Hochschulen dem Markt zu unterwerfen".

Aus Sicht von Bildungsministerin Niki Keraméos dagegen sind die Reformen überfällig, um im internationalen Wettbewerb zu bestehen. So soll unter anderem auch die maximale Studiendauer begrenzt werden, um die Zahl der nur noch pro forma Eingeschriebenen zu verringern. "Unser Hochschulsektor hat gewaltiges Potenzial", hatte sie im vergangenen Jahr bei der Debatte um das Gesetzespaket erklärt: "Wir müssen es lediglich entfesseln. Und dafür müssen wir nun einmal bestimmte Maßnahmen ergreifen."

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