Griechenland:Tsipras darf kurz durchatmen

Alexis Tsipras Griechenland Schuldenkrise

Alexis Tsipras am Mittwochabend im griechischen Parlament in Athen

(Foto: AP)
  • Griechenlands Parlament verabschiedet auch ein zweites Paket mit Reformen, die die Geldgeber des Landes forderten.
  • Viele Abgeordnete der Regierungspartei Syriza verweigern Premier Tsipras aber ihre Zustimmung zu den Reformen.
  • Neuwahlen werden immer wahrscheinlicher. Die könnten für Tsipras sogar positive Folgen haben.

Analyse von Jakob Schulz

Ausschlafen darf Alexis Tsipras an diesem Donnerstag vermutlich nicht - sich erleichtert zurücklehnen dagegen schon. Nach stundenlanger, hitziger Debatte stimmte Griechenlands Parlament um vier Uhr morgens Ortszeit über ein zweites Bündel von Reformen ab. Die große Mehrheit der Parlamentarier votierte mit "Ja".

Das Votum ist nicht überraschend, die Zustimmung der Oppositionsparteien galt als sicher. Ganz anders sah es mit vielen von Tsipras' Parteifreunden aus. Dutzende Mitglieder der Syriza-Fraktion hatten ihrem Premier schon vergangene Woche in einer Abstimmung die Gefolgschaft verweigert. Hätten in der Nacht zu Donnerstag nun noch mehr Parteifreunde mit "Nein" gestimmt, wäre Tsipras möglicherweise schon nicht mehr Premier.

Erfolg? Zumindest ein kleiner

Doch Tsipras' unermüdliches Werben um die Unterstützung der Syriza-Abgeordneten war erfolgreich. Zumindest ein bisschen. Zwar verfehlte die Regierungskoalition aus Syriza und Anel eine eigene Mehrheit für das Reformpaket. Es habe aber nur noch 36 Abweichler gegeben, berichtete das griechische Staatsfernsehen, 31 Nein-Stimmen und fünf Enthaltungen. In der Woche zuvor hatten sich insgesamt noch 38 Syriza-Politiker dem Kurs ihres Premiers verweigert. Anschließend hatte Tsipras in einer Kabinettsumbildung einige Abweichler entlassen.

Für den Premier sind die 126 Befürworter in seiner Regierungskoalition also zumindest ein kleiner Erfolg. Griechenlands Verfassung nennt 120 Abgeordnete als Untergrenze für eine Minderheitsregierung. Syrizas Fraktionssprecher Nikos Filis hatte vor der jüngsten Abstimmung deshalb schon gewarnt: "Wenn wir am Mittwoch nicht mindestens 120 Stimmen bekommen, werden wir so nicht weiter regieren können."

Das steckt im zweiten Reformpaket

Über was hatte Griechenlands Parlament abstimmen müssen? Auf dem Tisch lag ein zweites Bündel von Reformen, die die europäischen Geldgeber vor neuen Krediten unbedingt verabschiedet sehen wollten.

Zum einen ging es um die Implementierung der EU-Bankenrichtlinie. Sie legt fest, dass etwa bei der Insolvenz eines Geldinstituts nicht mehr zuerst die Steuerzahler haften müssen. Stattdessen sollen künftig die Anteilseigner der Bank und am Ende die Konteninhaber haften. Das Gesetz soll Spareinlagen bis zu einer Höhe von 100 000 Euro sichern, Sparvermögen ab 100 000 Euro sollen im Falle einer Insolvenz belangt werden.

Zum zweiten verabschiedete das Parlament eine umfassende Justizreform. Zivilverfahren sollen zügiger abgeschlossen werden. Das Gesetz beinhaltet zudem, dass Zwangsversteigerungen erleichtert werden, wenn Schuldner ihre Kredite nicht mehr zahlen. Tsipras schränkte vor der Abstimmung allerdings ein, dass seine Regierung es niemals erlauben werde, dass Banken den Erstwohnsitz von Bürgern beschlagnahmen.

Was steht nun an?

Mit dem "Ja" des Parlaments in Athen zu den nächsten Reformen sind nun die Bedingungen für Verhandlungen zwischen Griechenland und dem Euro-Rettungsfonds ESM erfüllt. Schon am Freitag sollen die Gespräche beginnen. Bis Mitte August soll eine Einigung stehen.

Dramatisch könnte die Situation unterdessen in der griechischen Regierung werden. Über die umstrittenen Reformen dürfte es weiter heftige Streitereien geben. Ohne Regierungsmehrheit könnte die Umsetzung der Gesetze zudem schwierig werden. Beobachter halten eine Spaltung der Syriza-Partei in ein Lager um Tsipras und eine Gruppe Abweichler um den ultra-linken Ex-Energieminister Panagiotis Lafazanis für möglich - und damit vorgezogene Wahlen auf Tsipras' Veranlassung hin im Herbst. Auch Innenminister Nikos Voutsis hatte für September oder Oktober Neuwahlen ins Spiel gebracht.

Die wichtigsten Oppositionsparteien warnten Tsipras vor Neuwahlen und deren Folgen. Das hat gute Gründe: Der Premier steht bei den Wählern glänzend da. Bei Neuwahlen kann er einer Umfrage zufolge sogar auf die absolute Mehrheit hoffen. In einer in der linksgerichteten Zeitung Efimerida Ton Syntaknon veröffentlichten Erhebung kommt Syriza auf 42,5 Prozent und damit auf knapp sechs Prozent mehr als bei der Wahl im Januar.

Tsipras und sein Purzelbaum

Dieser Anstieg seiner Popularität steht im Gegensatz zu der krassen Wende, die Tsipras in den vergangenen Wochen vollzogen hat. "Kolotumba", Purzelbaum, nennen die Griechen einen solchen Schwenk eines Politikers. Immerhin hatte eine überwältigende Mehrheit der Griechen beim Referendum über die Sparforderungen der Gläubiger mit "Nein" gestimmt. Nur eine Woche später dagegen beugte sich Tsipras in Brüssel dem Druck der Geldgeber und unterzeichnete die ausgesprochen weitreichende Sparvereinbarung. Dieses Papier, das er selbst öffentlich für nicht zielführend erklärt, muss er nun umsetzen, um ein drittes Kreditpaket aus dem ESM zu bekommen.

So dürfte nicht nur innerhalb von Syriza, sondern auch auf den Straßen Griechenlands die Wut in den kommenden Wochen weiter zunehmen. Sollte Tsipras also tatsächlich Neuwahlen wollen, dann wäre er angesichts seiner aktuellen Popularitätswerte gut beraten, die Wahl so früh wie möglich anzusetzen.

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