Griechenland:"Syriza hat nicht genug fähige Leute, um Reformen umzusetzen"

Professor Kostis aus Athen

Ökonomie-Professor Kostas Kostis

(Foto: Matthias Kolb)

Ökonomie-Professor Kostas Kostis fordert für Griechenland eine "Regierung der nationalen Einheit" - und erklärt, warum Premier Alexis Tsipras aktuell unangreifbar ist.

Interview von Matthias Kolb, Athen

SZ: Professor Kostis, wenn das Parlament und die Regierung in Athen alle Maßnahmen umsetzt, die der Brüsseler Deal vorsieht: Was für ein Land wird Griechenland dann sein?

Kostas Kostis: Ich bin zuversichtlich, dass es eine Mehrheit im Parlament für das Brüsseler Paket gibt. Ob die Regierung in der Lage ist, alle Maßnahmen umzusetzen, wird sich zeigen. Sie sind aber zwingend nötig: Wir brauchen eine effizientere Verwaltung, unabhängige Gerichte und ein bezahlbares und gerechtes Renten- und Lohnsystem. Bisher ist es nicht so, dass Leute mit gleicher Qualifikation das gleiche Gehalt bekommen und einzelne Gruppen erhalten deutlich höhere Pensionen als andere. Das Land kann nur profitieren, wenn die überfälligen Reformen eingeleitet werden.

Kostas Kostis

... ist Professor für Ökonomie und Sozialgeschichte an der Universität Athen - und arbeitet damit an der gleichen Fakultät wie Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis und dessen Nachfolger Euklid Tsakalatos. Von deren Bilanz in der aktuellen Regierung ist Kostis, der in Paris promoviert und unterrichtet hat, alles andere als begeistert. Der 57-Jährige veröffentlicht regelmäßig Meinungsbeiträge und Analysen in griechischen Zeitungen.

Das Parlament muss unter anderem höhere Steuern beschließen, die Renten indirekt kürzen und einen 50-Milliarden-Fonds beschließen. Welche Maßnahmen sind am umstrittensten?

Die meisten Kontroversen wird es bei der Liberalisierung bestimmter Berufsgruppen geben, deren Geschäft stark reguliert ist. Taxifahrer und Apotheker etwa sind stark von Marktmechanismen geschützt. Künftig sollen einfache Medikamente außerhalb von Apotheken verkauft werden. Vor solchen Schritten sind die Regierungen bisher zurückgeschreckt. Bei dem Streik, der für den Abstimmungstag Mittwoch geplant ist, werden diese Gruppen ganz vorne marschieren.

Viele Griechen waren empört, als sie von dem Privatisierungsfonds gehört haben, den Deutschland durchgesetzt hat. War Berlin hier zu hart?

Viele Griechen fühlen sich nun gedemütigt, aber ich empfinde das nicht als übertriebene Härte. Dieses emotionale blame game und Zuschieben von Schuld bringt uns nicht weiter. Europa ist keine Wohltätigkeitsveranstaltung. Wir haben Regeln nicht eingehalten und bezahlen nun für unsere Fehler und dafür, dass unsere Politiker jahrelang Reformen verschleppt haben. Zum Ende der Samaras-Regierung, also im Januar 2015, hat der damalige Finanzminister Gikas Chardouvelis ein Paket mit Brüssel verhandelt, das weniger umfassend war. Wir brauchen nun so viel Geld, weil wir mehr als fünf Monate verloren haben.

Was haben Sie erwartet, als Syriza im Januar die Wahl gewann?

Ich habe gar nichts von dieser Partei erwartet. Für mich waren das Demagogen, die sich wie Götter gefühlt haben und dachten, sie könnten Europa erklären, wie die Dinge wirklich laufen. Dass sie keinerlei Erfahrungen hatten, ist ja gar nicht das Schlimmste. Sie wollten ja nicht mal hinzulernen. Ich kenne Yanis Varoufakis, er ist ein Fakultätskollege von mir: Er hätte mit seiner Art in keiner anderen griechischen Partei Karriere machen können.

Werden die geforderten Maßnahmen dazu führen, dass Griechenland in der Rezession bleibt, wie es Premier Alexis Tsipras angedeutet hat?

Es liegt nicht an diesen Beschlüssen, dass Griechenland nun in der Rezession ist. 2014 hatten wir einen Primärüberschuss und Wachstum, doch was ist geschehen? Nun sind die Banken zu und wir haben Kapitalverkehrskontrollen. Die optimistischste Schätzung ist, dass unsere Volkswirtschaft 2015 um vier Prozent schrumpft. Hoffen wir, dass es nicht so schlimm kommt, wie ich es befürchte.

Bekommt Tsipras eine Mehrheit im Parlament?

Sie werden die Unterstützung der Opposition brauchen, aber die kriegen sie. Syriza ist keine klassische Partei, sondern eine Koalition aus verschiedenen Gruppen. Ich könnte mir vorstellen, dass sich die Radikale Linke um Energieminister Panagiotis Lazafanis abspaltet. Die neue Partei dürfte von der Entwicklung leider ebenso profitieren wie die rechtsextreme "Goldenen Morgenröte".

Dass sich die meisten Parteien auf eine gemeinsame Position verständigt haben, um Griechenland im Euro zu halten, ist jedoch eine positive Entwicklung. Bisher waren Regierungen und Opposition im Athener Parlament doch stets verfeindet.

Die Anführer der Parteien haben realisiert, wie ernst die Lage ist. Es ist gut, dass die pro-europäischen Kräfte nun vereint agieren wollen und alle das Reformpaket unterstützen wollen. Aber gerade die Oppositionsparteien - die Konservativen von Nea Dimokratia, Pasok und Potami - sollten noch mehr tun. Es bräuchte wirklich eine "Regierung der nationalen Einheit", die kompetent genug ist, um die Maßnahmen wirklich umzusetzen.

Diese Fähigkeiten fehlen der Koalition aus Syriza und den "Unabhängigen Griechen"?

In der aktuellen Regierung können das nur wenige. Es gibt in Griechenland fähige Beamte und gut ausgebildete Technokraten, doch sie sind nicht in den Reihen von Syriza. Syriza verachtet diese Leute. Bei Regierungswechseln werden viele Posten ausgetauscht, kompetente Angestellte verlassen Ministerien. Die Konservativen und Sozialdemokraten könnten diese Leute einbringen. Eine solche "Regierung der nationalen Einheit" sollte am besten zwei oder drei Jahre amtieren, doch darauf werden sich die Oppositionskräfte nicht einlassen, was ich verstehen kann.

Diese Parteien können dabei nur wenig gewinnen.

Genau, es ist ja nur teilweise ihre Schuld, dass wir uns in dieser Lage befinden und nun so viele Milliarden mehr benötigen. Die Vorgaben aus Brüssel sind ja sehr detailliert, da gibt es für sie wenig Gestaltungsmöglichkeiten. Und sie wären auch politisch mitverantwortlich für all die neuen sozialen Härten. Ich wünsche mir eine solch breit aufgestellte Regierung noch aus einem anderen Grund: Wir könnten uns Gedanken machen, wie unsere Wirtschaft in Zukunft aussehen soll.

Tourismus allein bringt nicht genug ein.

Nein, das reicht überhaupt nicht. Wir haben keine wirtschaftliche Vision für die nächsten zehn Jahre. Unsere Investitionen in Bildung, Wissenschaft und Forschung wurden seit Jahre gekürzt und dafür zahlen wir den Preis. Wir müssen versuchen, High-Tech-Industrien zu entwickeln und Investoren anzulocken. Dass viele junge Griechen im Ausland studieren, finde ich gut. Dort lernen sie viel. Aber heutzutage kehrte keines dieser Talente zurück, weil es hier keine Chancen gibt. Das ist eine Schande. Bisher kann ich meinen Ex-Studenten auch nicht empfehlen, wieder nach Griechenland umzusiedeln, um hier zu arbeiten oder ein Unternehmen zu gründen. Wenn sich das nicht ändert, dann geht es mit Hellas nie aufwärts.

Viele Experten wie Politik-Professor Loukas Tsoukalis denken, dass kein Politiker in naher Zukunft Premier Tsipras gefährlich werden kann. Ist er unbesiegbar?

Momentan hat er wirklich keine Herausforderer. Er hat das Image des aufrechten Helden, der die Austeritätspolitik beenden wollte, doch der Widerstand in Europa war zu groß. Doch wenn die Leute sehen, dass die Steuern erneut steigen und die Renten sinken, dann machen sie die Regierung dafür verantwortlich. Und an deren Spitze steht eben Alexis Tsipras.

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