Griechenland nach der Europawahl:Syriza fordert die Regierung heraus

Radical Left Coalition leader Alexis Tsipras meets Greek Presiden

Will künftig in Regierungsentscheidungen eingebunden werden: Syriza-Parteichef Alexis Tsipras.

(Foto: dpa)

Erstmals ist die radikale Linkspartei Syriza zur stärksten Kraft in Griechenland gewählt worden. Parteichef Alexis Tsipras will künftig bei der Besetzung von Positionen und bei Entscheidungen über Sparmaßnahmen mitreden. Sorgen bereitet der regierenden Nea Dimokratia außerdem der Wahlerfolg der Neonazi-Partei Chrysi Avgi.

Von Christiane Schlötzer, Athen

Es ist in Athen schon weit nach Mitternacht, als sich Alexis Tsipras, der Chef der radikalen Linkspartei Syriza, seinen Anhängern als Wahlsieger präsentiert. "Wir sind dabei, das Blatt der Geschichte zu wenden", sagt der 39-Jährige, der die Europawahl zum "Volksentscheid" über die Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Antonis Samaras erklärt hatte. Syrizas Vorsprung vor der Samaras-Partei Nea Dimokratia (ND) beträgt am Ende knapp vier Prozentpunkte. Es ist das erste Mal in Griechenland, dass die Linke stärkste politische Kraft ist. Für Tsipras ist das Grund genug, Neuwahlen zu fordern.

Der Syriza-Chef hat Rena Dourou, 40, mitgebracht, die neue Gouverneurin von Attika, die in einer Zitterpartie den dortigen Amtsinhaber geschlagen hat. Mit der Europawahl fand auch die zweite Runde der griechischen Kommunalwahl statt. Es ist ebenfalls eine Premiere, dass die Linke diesen wichtigen Posten erobert hat, in der größten Region des Landes, in der gut ein Drittel der Griechen lebt. Dourou zeigt sich nicht weniger angriffslustig als Tsipras. Sie verkündet: "Von morgen an führen wir Krieg gegen die großen Interessen."

Am Montagmittag stattet Tsipras Staatspräsident Karolos Papoulias einen Besuch ab. Unmittelbar danach macht er seinen Anspruch deutlich, künftig bei wichtigen Staatsangelegenheiten mitzureden. Samaras, so der Herausforderer, dürfe nicht mehr "ohne die Zustimmung der größten Partei des Landes" über Positionen wie den künftigen Chef der Zentralbank und den EU-Kommissar Griechenlands entscheiden. Schließlich würden diese Entscheidungen das "Volk auf Jahre binden". Das gelte auch für neue Sparmaßnahmen, Stellenkürzungen oder die Privatisierung von Staatseigentum.

Das Bedürfnis nach neuen Gesichtern

Regierungschef Samaras wollte nicht den Eindruck eines Verlierers machen, als er bereits vor Mitternacht im Megaro Maximou, dem Amtssitz des Premiers, bekannte: Die Regierung habe die "Botschaft" der Wähler verstanden. Dann aber gab sich auch der 63- Jährige kämpferisch. Der von Syriza angekündigte "Umsturz" sei "abgewendet" worden, die Regierung habe "extremen Angriffen" standgehalten. Samaras' Zuversicht stützt sich offenbar auf das Abschneiden seines kleinen Koalitionspartners Pasok. Mit acht Prozent sind die einst von absoluten Mehrheiten verwöhnten Sozialisten zwar nur noch ein Schatten ihrer selbst. Aber es war befürchtet worden, dass sie sogar auf weniger als fünf Prozent schrumpfen könnten.

Samaras schließt erst einmal baldige Neuwahlen aus. Er verspricht, die Regierung werde rasch soziale "Ungerechtigkeiten" korrigieren. Schon während des Wahlkampfs hatte der Premier Steuersenkungen angekündigt. Am Montag berichteten griechische Medien, Samaras wolle bald sein Kabinett umbilden, um Handlungsfähigkeit zu zeigen und der Pasok größeren Raum zu geben. Im Parlament verfügt die Koalition nur noch über eine Mehrheit von zwei Stimmen.

Die Verunsicherung im Regierungslager ist nach dem Wahltag aber größer, als es Samaras und Pasok-Chef Evangelos Venizelos zugeben wollen. Dazu trägt nicht nur der Syriza-Sieg bei, sondern auch das Ergebnis für die Neonazi-Partei Chrysi Avgi, die sich mit 9,4 Prozent als dritte Kraft etabliert hat, obwohl ihre Führungsspitze in Haft sitzt, unter der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung.

Das Wahlergebnis zeige allerdings auch, dass weder Syriza mit 26,6 Prozent noch die ND mit 22,7 Prozent demnächst mit einer absoluten Mehrheit rechnen könnten, kommentiert das Blatt Ta Nea. Koalitionen und Kompromisse seien nötig. Das hat offenbar auch Tsipras verstanden. Er spricht von "progressiven, patriotischen Allianzen", die seine Partei suchen wolle. Syriza hatte mit noch mehr Stimmen gerechnet. Dies aber hat der linksliberale Neuling To Potami (Der Fluss) verhindert. Die erst vor wenigen Wochen gegründete Partei des TV-Journalisten Stavros Theodorakis kam aus dem Stand auf 6,6 Prozent. Sie wurde sogar auf den Kykladen-Inseln gewählt, wo sie keine Kandidaten hatte.

Das Bedürfnis nach neuen Gesichtern in der Politik nach fünf Jahren Krise scheint groß zu sein. Dies sorgt auch für allerlei Überraschungen: In Sparta, das praktisch seit der Antike als konservativ gilt, wurde mit 60 Prozent ein Kommunist Rathauschef. Wenn sich kein Älterer findet, wird auch der Alterspräsident des neuen Europaparlaments ein Syriza-Mann sein: Manolis Glezos. Der 91-Jährige ist ein griechischer Mythos. Am 30. Mai 1941 holte er während der deutschen Besatzung Griechenlands zusammen mit einem Freund die Hakenkreuz-Fahne von der Akropolis.

Die Wahlbeteiligung lag trotz großer Europa-Skepsis mit knapp 60 Prozent deutlich über dem EU-Durchschnitt von 43,1 Prozent. In der kleinsten Gemeinde, auf der Insel Gavdos, dem geografisch südlichsten Punkt Europas, gingen jedoch 91 Prozent nicht zur Wahl: aus Protest gegen die in der Nähe der Insel auf offener See stattfindende Vernichtung der syrischen Chemiewaffen. Nur 17 Leute wählten hier - jeder Vierte Syriza.

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