Hilfen für Griechenland:Merkels miese Europa-Bilanz

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Der Euro ist in höchster Gefahr - doch Angela Merkel hat sich verzettelt. Ihr Gegenspieler Nicolas Sarkozy lässt den aufgeblasenen deutschen Plan zur Griechenland-Rettung platzen. Damit hat die Kanzlerin Zeit verloren, vermutlich aber mehr als das. Merkel verhält sich wie eine Getriebene - und muss sich fragen, warum sie in Europa regelmäßig daran scheitert, Forderungen durchzusetzen.

Daniel Brössler

Wer inmitten des griechischen Chaos nach Gewissheiten sucht, wird vermutlich nur die eine finden, dass die Zeit davonläuft. Es sind Tage, die bleiben, um einen Bankrott mit unabsehbaren Folgen für Europa und die Welt abzuwenden. Angela Merkel erlebt so eine Situation nicht zum ersten Mal und hat gehandelt wie in der Vergangenheit. Sie ließ die Welt warten. Die Kanzlerin tut so etwas im Bewusstsein, dass sich in einer Krise wie jener des Euro Macht nicht nur an Millionen und Milliarden bemisst, sondern auch an Minuten und Stunden.

French President Sarkozy and German Chancellor Merkel address a news conference at the Chancellery in Berlin

Wirkliche Handlungsfreiheit gibt es nicht in der Euro-Krise: Präsident Nicolas Sarkozy und Kanzlerin Angela Merkel.

(Foto: REUTERS)

Merkel hat sich von der knappen Zeit genommen und sie eingesetzt, um die Beteiligung privater Gläubiger an der Rettung Griechenlands zu erzwingen. Ihrem Gegenspieler, Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, aber konnte sie am Freitag nur die Zustimmung zu einer unverbindlichen Beteiligung abringen. Damit hat Merkel mindestens Zeit verloren. Vermutlich aber deutlich mehr als das. Ihr Krisenmanagement wirkt wie das einer Getriebenen. Wenn Linien zu erkennen sind, verlaufen sie im Zickzack.

Wachsen werden nun die Zweifel. Sie wurzeln - unabhängig vom Geschick der Kanzlerin - in der Natur einer Krise, in der nichts als sicher gelten kann. Nicht, dass Griechenland wirklich vor dem Bankrott bewahrt werden wird. Nicht, dass der Euro eine Rettungsaktion in beliebiger Dauer und zu jedweden Kosten übersteht. Und auch nicht, dass die von Deutschland mit Verve verlangte Beteiligung privater Gläubiger auf freiwilliger Basis überhaupt praktikabel ist. Alternativen gibt es immer, und natürlich stehen Merkel und die anderen europäischen Regierungschefs auch in diesem Fall vor verschiedenen Optionen. Wer aber an wirkliche Handlungsfreiheit glaubt, hält sich an eine Illusion. Die Europäer sind im Moment so frei wie die Bewohner eines brennenden Hauses. Sie können verschiedene Wege wählen, richtig ist aber nur einer: der kürzeste in die Sicherheit.

Merkel ist diesem Weg gefolgt, aber sie führt nicht. In Zeiten höchster Gefahr für die europäische Gemeinschaftswährung hat sich die Regierungschefin der größten europäischen Volkswirtschaft verzettelt. Sie hat das nicht grundlos getan. Immer schwerer wird es, die Koalitionsfraktionen noch geschlossen hinter der Euro-Rettung zu versammeln. Auch in der Bevölkerung wächst der Ärger. Kein Risiko scheut Merkel so sehr wie das einer negativen Wirkung in der Öffentlichkeit. Bis heute fürchtet die Kanzlerin die Angst der anderen vor der Atomkraft vermutlich mehr als die Atomkraft selbst. So ist es auch mit der Rettung des Euro. Deren Risiken sind für sie immer noch leichter zu kalkulieren als die Emotionen in der Debatte.

Die Währung der Angela Merkel

Aus diesem Grund hat Merkel zum vermeintlich bewährten Mittel der Beruhigung gegriffen. Sie versprach, eine substantielle Beteiligung des Privatsektors zur Bedingung zu machen für die nächste Runde der Nothilfe. Ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble assistierte, indem er eine Streckung der Tilgungsfristen für griechische Kredite entwarf, die Geschäftsbanken tatsächlich in die Pflicht nehmen würde. Dieser Plan wurde aufgeblasen zur Voraussetzung für eine gerade noch verantwortbare neue Milliardenhilfe. Sarkozy hat ihn nun kalten Blutes zerplatzen lassen. Unabhängig davon, ob die Hilfe dadurch unsolider oder teurer wird, zahlt die Kanzlerin dafür mit einer Währung, die noch kostbarer ist als Zeit. Sie heißt Glaubwürdigkeit.

Wer die Kanzlerin über den Euro sprechen hört, fragt sich, wie es dazu kommen konnte. Sie hat zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel daran gelassen, dass es in letzter Konsequenz um den Fortbestand der Europäischen Union geht. Oft hat sie geschildert, wie sehr Deutschland von der gemeinsamen Währung profitiert. Sie hat die europäische Verantwortungsgemeinschaft beschworen und nicht weniger als die Einheit des Kontinents. Alle Bekenntnisse einer überzeugten Europäerin trägt sie vor, und wenn man ihr etwas zum Vorwurf machen will, dann am ehesten die phrasenhafte Routine, in der sie es tut. Vielleicht geht es den Menschen dabei manchmal so wie beim Anblick einer prallen Nuss. Sie möchten sie öffnen und sehen, ob auch wirklich eine Frucht darin steckt.

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