Griechenland-Krise:Fatale Entscheidung für ein deutsches Europa

Griechenland-Krise: Angela Merkel und Wolfgang Schäuble: Zum ersten Mal wollte Deutschland nicht mehr Europa, sondern weniger.

Angela Merkel und Wolfgang Schäuble: Zum ersten Mal wollte Deutschland nicht mehr Europa, sondern weniger.

(Foto: AFP)

Merkel und Schäuble haben in Brüssel kompromisslos verhandelt, Deutschland war ihnen wichtiger als Europa. Eine große Idee könnte damit endgültig scheitern.

Von Joschka Fischer

Die Nacht vom 12. auf den 13. Juli 2015 hat die EU fundamental verändert. In jener langen Verhandlungsnacht von Brüssel ist etwas im Innersten der Europäischen Union zerbrochen. Der Charakter der Gemeinschaft hat sich dadurch grundsätzlich gewandelt. Heute, zwei Wochen danach, stehen wir alle vor einem anderen Europa. Was ist geschehen?

Deutschland, wie wir es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs kannten, hat sich in jener Nacht fundamental verändert, seine Rolle und Selbstdefinition in und für Europa. Vordergründig ging es um die Krise Griechenlands; es ging darum zu verhindern, dass Griechenland aus dem Euro herausfallen und es zu einem chaotischen Grexit mit fatalen Folgen für das Land und die Euro-Zone kommen würde. Parallel dazu - und fast noch wichtiger - ging es um die Rolle des bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich mächtigsten Landes in der Mitte Europas, um Deutschland.

Joschka Fischer

Joschka Fischer: Er war von 1998 bis 2005 Bundesaußenminister und Vizekanzler.

(Foto: Getty Images)

Deutschland hat sich das Vertrauen Europas erarbeitet

Der Wiederaufstieg des Landes nach der Barbarei der Nazi-Zeit ruht auf einigen Grundsätzen, die das Vertrauen in Deutschland wieder soweit hergestellt haben, dass alle seine früheren Kriegsgegner und Opfer 1989 seiner Wiedervereinigung zugestimmt haben, ein unerhörter Vertrauensbeweis. Im Innern hatte sich Deutschland erfolgreich zu einer stabilen Demokratie entwickelt. Hinzu kam der wirtschaftliche Erfolg auf einer starken sozialstaatlichen Grundlage. Deutschlands Bereitschaft, sich uneingeschränkt seiner Nazi-Vergangenheit zu stellen, in Verbindung mit einer tiefen Skepsis allem Militärischen gegenüber, hat darüber hinaus entscheidend zur Vertrauensbildung beigetragen.

In der Außenpolitik waren für diese Vertrauensbildung zwei Faktoren entscheidend: die Westintegration und die Europäisierung des Landes. Die "Macht in der Mitte" sollte nie wieder zur Gefahr für den Kontinent und für sich selbst werden. Deutschland sollte nach 1945, anders als 1919 mit dem Frieden von Versailles, nicht mehr isoliert und wirtschaftlich geschwächt, sondern vielmehr mittels seiner Integration in den Westen militärisch geschützt und politisch fest verankert werden.

Mehr noch: Die wirtschaftliche Stärke der europäischen Zentralmacht sollte, in Verbindung mit der Aussöhnung mit dem alten "Erbfeind" Frankreich, diese in einen gemeinsamen europäischen Markt mit der Perspektive einer dereinst stattfindenden politischen Einigung Europas einbringen. In Deutschland nennt man dies heute gerne wieder "romantisch" oder "Pathos-Europäertum" und glaubt, beides sei heute überholt. Fortan gehe es auch in Deutschland beim Thema Europa um harte nationale Interessen, wie bei allen anderen auch.

Ist der "hässliche Deutsche" zurück?

Welch ein Irrtum. Die Frage, welchen Weg das wiedervereinigte Deutschland im 21. Jahrhundert einschlagen wird - hin zu einem europäischen Deutschland oder zu einem deutschen Europa -, ist mitnichten eine Frage von Pathos oder gar der politischen Romantik, sondern die sehr harte, realpolitische, ja historische Grundsatzfrage für alle deutsche Außenpolitik schlechthin. Und diese Frage wurde jüngst in jener langen Brüsseler Nacht zulasten des europäischen Deutschlands und zugunsten eines deutschen Europas entschieden, eine fatale Entscheidung für Deutschland und Europa. Ob Angela Merkel und Wolfgang Schäuble wussten, was sie taten?

Man würde sich in Deutschland die Welt nur schönfärben, wenn man die seither einsetzende heftige Kritik an dem Land und seinen Akteuren als deutschfeindliche Propaganda abtun würde. Gewiss gibt es diese auch, aber der Kern der Kritik artikuliert das feine Gespür für jenen historischen Bruch in der deutschen Europa-Politik, der in Brüssel in der Nacht auf den 13. Juli 2015 stattgefunden hat.

Zum ersten Mal wollte Deutschland nicht mehr Europa, sondern weniger, und das hieß im Klartext: die Verwandlung der Euro-Zone von einem europäischen Projekt quasi in eine deutsche Einflusszone. Man könnte sagen, dies ist die spezifisch deutsche Form von "Renationalisierung im europäischen Gewande". Prompt drohte in jener Nacht auch ein schwerer Konflikt mit Frankreich und Italien. Die Kanzlerin musste sich zwischen ihrem Finanzminister und Frankreich entscheiden.

Für Schäuble ist der Grexit nicht vom Tisch

Ein Mitgliedsland des Euro sollte mit massivem Druck dazu gebracht werden, "freiwillig" aus dem Euro auszutreten. Die von der Regierung Deutschlands betriebene Alternative für Griechenland hieß: entweder Austritt oder die Akzeptanz eines Programms, welches das Land faktisch zu einem europäischen Protektorat macht mit keinen Aussichten auf wirtschaftliche Besserung. Griechenland wird eine Rezeptur verschrieben, die auch in der Vergangenheit nicht funktioniert hat und im Wesentlichen für die deutsche Innenpolitik und nicht für das notleidende Griechenland gedacht war.

Der massive Konflikt mit der zweit- und der drittgrößten Volkswirtschaft des Euro-Raumes ist nun alles andere als ausgeräumt, denn für Schäuble ist der Grexit nicht vom Tisch. Er möchte den Schuldenschnitt für Griechenland zum Hebel für die Realisierung seiner Idee von einem "freiwilligen" Grexit machen. Die Haltung des deutschen Ministers wirft die Grundsatzfrage nach dem Verhältnis zwischen dem lateinischen Süden und dem Norden Europas in einer Schärfe auf, welche die Euro-Zone überfordern muss. Der Glaube, der Euro könne dazu taugen, den Süden quasi ökonomisch umzuerziehen, wird sich nicht nur in Griechenland, sondern für das gesamte europäische Projekt, das auf Vielfalt und Solidarität aufgebaut wurde, als ein gefährlicher Irrtum erweisen.

Von der europäischen Einigung profitierte vor allem Deutschland

Deutschland ist nicht nur materiell, sondern vor allem auch politisch, der große Gewinner der europäischen Einigung. Man vergleiche nur die deutsche Geschichte in der ersten mit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die erste deutsche Nationalstaatsgründung fand leider nicht im 18. Jahrhundert, im Zeitalter der Aufklärung statt, sondern im 19. Jahrhundert, in der hohen Zeit des Nationalismus unter preußischen Vorzeichen statt. Militär und Nationalismus waren es im Wesentlichen, was mit deutscher Macht verbunden wurde.

Deutsche Macht verfügte anders, als es in Frankreich und Großbritannien und den Vereinigten Staaten der Fall war, niemals über eine zivilisatorische Idee, die über die bloße Macht hinausging. Die zweite deutsche Nationalstaatsgründung 1989 beruhte auf einer unwiderruflichen Westorientierung und Europäisierung des Landes. Gerade die Europäisierung deutscher Politik füllte und füllt diese zivilisatorische Leerstelle. Diese Grundpfeiler weiter erodieren zu lassen, wäre daher für Deutschland und Europa eine Torheit sondergleichen und brächte den "hässlichen Deutschen" zurück.

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