Süddeutsche Zeitung

Griechenland:Ins Graos

Erfindet die Euro-Zone jetzt eine Lex Griechenland, dann braucht sie morgen eine Lex Frankreich und eine Lex Italien. Das wäre das Ende der europäischen Währungsunion.

Von Stefan Kornelius

In aufgeregten Zeiten sind ein paar unaufgeregte Feststellungen wichtig. Zum Beispiel: Um ein drittes Rettungsprogramm geht es in der Causa Griechenland jetzt nicht, weil das zweite ja noch nicht einmal abgeschlossen wurde. Das ist am 30. Juni einfach verpufft. Nun wird nach einer neuen Idee zum Umgang mit der Misere gesucht. Zur Auswahl steht nur der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) mit seinen Regeln. Der Vorgänger-Fonds EFSF, aus dem die Griechen bisher das meiste Geld bekommen haben (und der nicht so harte Bedingungen setzt), hat sein Leben ausgehaucht. Dieser Unterschied hat es in sich. Solche Hinweise werden gerne als typisch deutsche Vertragshuberei abgetan. In den USA etwa gibt es wenig Verständnis für den rechtlichen und politischen Rahmen der europäischen Geschäfte. Da wird schnell mit ein paar geopolitischen Horrorszenarien gewedelt, ein nicht ganz korrekter historischer Vergleich bemüht (Schuldenkonferenz 1953) und die Erzählung vom Spardiktat gepflegt, ehe der gütige Rat ergeht: Vergebt den Griechen die Schulden, lasst sie neu anfangen.

Griechenland scheitert nicht an Deutschland, sondern an sich

Wenn es denn so einfach wäre. So töricht es ist, das griechische Drama auf den Hasardeur Varoufakis und den Zuchtmeister Schäuble zu reduzieren, so zeugt es von ebenso großer Unkenntnis, Griechenland zum tragischen Patienten der Euro-Zone zu reduzieren, den man nur in Quarantäne stecken und mit hinreichend vielen Euros impfen muss, um eine Genesung zu erzwingen.

Tatsächlich funktioniert Europa erheblich komplizierter. Politik, Wirtschaft, Währung, nationale Stimmungen, Mehrheiten, Machtverhältnisse - die Organe im europäischen Körper lassen sich nicht einfach isolieren. Oder, um das Bild zu strapazieren: Es gibt keine Staatsschulden-Leber oder eine Griechenland-Niere, die sich austauschen lassen. Vernetzt sind die Organe durch das europäische Recht - ein dichtes, sicherlich mangelhaftes Konstrukt von Blutbahnen, das dafür sorgt, dass Europa einem Herztakt folgt.

Europa und seine Euro-Zone sind eine politische und eine Rechtsgemeinschaft. Diese Gemeinschaft kann nur funktionieren, wenn das Recht eingehalten und die politischen Grenzen der Partner respektiert werden. Beide Grundsätze wurden von Griechenland missachtet, und so sind Verletzungen entstanden - ganz zu schweigen von dieser Vertrauensimplosion, die nun alle beklagen.

Wie sehr Griechenland das Vertrauen zerstört hat, zeigen die letzten 96 Stunden mit all ihren Volten, Finten und Widersprüchen. Die Harakiri-Politik der Regierung Tsipras hat sich zuerst aggressiv nach außen gerichtet, nach dem Referendum aggressiv nach innen. Und nun soll ein Häuflein verzagter und seit Wochen kasernierter Experten in wenigen Stunden Ordnung in dieses Chaos bringen? Graccident war gestern, heute ist Graos.

Die Erzählung von Alexis Tsipras als dem Robin Hood der europäischen Fiskalpolitik war noch nie überzeugend. Zu sehen ist da eher ein linker Gordon Gekko, der ohne Risikobewusstsein ein Nervenspiel anzettelt, einen Totalverlust in Sachen Vertrauen produziert und einen Maximalschaden für die Menschen, denen er zu dienen versprochen hat. Es gehört ein gewaltiges Selbstbewusstsein dazu, die Rettungsbedingungen der Gläubiger mit Wut und Empörung abzulehnen, dafür 60 Prozent der Bevölkerung in einem Referendum hinter sich zu scharen und drei Tage später nahezu gleiche Bedingungen als eigenen Vorschlag zu präsentieren.

Doch der Vorschlag kommt zu spät: In Europa hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Der EFSF ist perdu, es gilt der ESM. Sein Regelwerk wirkt langfristiger, eine Rettung wäre deshalb teurer und ist auch schwerer durchzusetzen. Hinter diesem neuen Rettungsmechanismus versteckt sich keine neue Boshaftigkeit und auch nicht die Kaltherzigkeit der deutschen Kanzlerin oder ihres Dr. Wolfgang Jekyll. Im ESM stecken Jahre politischer Schwerstarbeit und Konsenssuche, verfassungsrechtliche Abwägungen, und natürlich Parlaments-Voten.

Wer jetzt wieder die Deutschland-Keule herausholt und mit dem Zuchtmeister-Argument einen Kompromiss zum Wohle der Griechen einfordert, der ignoriert die Fragilität dieser Hilfskonstruktion für eine gemeinsame Wirtschafts- und Währungspolitik, die auf dem Konsens von 19 Staaten beruht. Das ist keine deutsche Erfindung.

Griechenland scheitert nicht an Deutschland oder den fast ein Dutzend Staaten, die ähnliche Vorbehalte haben wie die Bundesregierung. Griechenland scheitert an sich selbst. Umgekehrt gilt auch: Erfindet die Euro-Zone jetzt eine Lex Griechenland, dann braucht sie morgen eine Lex Frankreich und eine Lex Italien. Das wäre das Ende des Euro.

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SZ vom 13.07.2015
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