Griechenland in der Krise:Wahlkampf im Sorgenland

Während Linksradikalen-Chef Alexis Tsipras im Wahlkampf siegessicher in die Kameras lächelt, zerfällt Griechenland. Die Krankenkassen können wichtige Krebsmedikamente nicht mehr bezahlen, Bürger und Kommunen begleichen ihre Stromrechnungen nicht, Blackouts werden zur "realen Gefahr".

Christiane Schlötzer, Athen

Überall, wo Alexis Tsipras nun auftaucht, zeigt er sein Siegerlächeln, so als hätte der Chef der radikalen Linkspartei die griechische Parlamentswahl am 17. Juni bereits gewonnen. Auch die in Athen akkreditierten internationalen Diplomaten bekamen jetzt eine Kostprobe vom Selbstbewusstsein des 37-Jährigen, der behauptet, er könne Hellas in der Euro-Zone halten, auch wenn sein Land die Auflagen der Kreditgeber vom Tisch wischt. Verständlich, dass die Botschafter der EU-Staaten den Mann näher kennenlernen wollten, nachdem sie zuvor schon mit dem Chef der konservativen Nea Dimokratia (ND), Antonis Samaras, dem anderen möglichen Wahlsieger, in einem Hotel konferiert hatten.

A supporter listens to Alexis Tsipras, head of Greece's radical left SYRIZA party, during a pre-election rally at Elefsina suburb, west of Athens

Alexis Tsipras, Chef der linksradikalen Syriza gibt sich, als habe er die Wahl am 17. Juni bereits gewonnen. Die Auflagen von IWF und EU wird auch er wohl nicht erfüllen können - er will es ja auch gar nicht.

(Foto: REUTERS)

Aber Tsipras bestand überraschend auf einem Treffen in größerem Rahmen: Die Diplomaten der G 20 sollten es sein, der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer der Welt, von den USA bis Südkorea. Dafür brauchte man einen größeren Saal und fand ihn am Mittwoch im Zappeion, einem in besseren Zeiten prächtig restaurierten Neoklassik-Bau im Nationalgarten - auch wenn der amerikanische und der deutsche Botschafter lieber nur Vertreter schickten. Anschließend gaben sich die Diplomaten schmallippig. Außenpolitisch zeige der Mann jedenfalls wenig Neigung zur Rebellion, war nach 90 Minuten hinter verschlossenen Türen von Teilnehmern zu vernehmen. Nicht einmal im verkorksten Namenstreit mit dem Nachbarn Mazedonien lasse er Neues erkennen.

Nun hat Griechenland derzeit weit größere Probleme als seine außenpolitischen Erblasten. Denn während der Politaufsteiger Tsipras - dessen Partei Syriza in den Umfragen mit der ND erstmals um Platz eins kämpft - in jede Kamera lächelt, zerfällt das Land. Von "schleichender Insolvenz" spricht ein prominenter griechischer Journalist, und was dies bedeutet, lässt sich an der Zahl der Krisensitzungen ablesen, die Übergangspremier Panajotis Pikrammenos abhalten muss. Eigentlich soll der hohe Richter ja nur die zweite Parlamentswahl innerhalb von 42 Tagen vorbereiten, aber in dieser Woche musste sich Pikrammenos schon mit der Aussicht beschäftigen, dass in Griechenland bald Lichter und Klimaanlagen ausgehen könnten.

525 Millionen Schulden dank unbezahlter Stromrechnungen

Die staatliche Elektrizitätsgesellschaft DEI sitzt auf einem Stapel unbezahlter Rechnungen. Im Juni werden noch 525 Millionen Euro fällig, in den Kassen des Unternehmens befänden sich aber nur 170 Millionen Euro, schrieb die Zeitung To Vima und berichtete von Panik im Vorstand des Konzerns. Weil zahlreiche Haushalte und Firmen, aber auch Kommunen und der Staat selbst ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen können, verschlechtert sich die Lage des größten griechischen Stromproduzenten stetig.

Auch dem staatlichen Gaskonzern Depa geht das Geld aus, um seine Außenstände bei der russischen Gazprom, der türkischen Botas und der italienischen Eni zu begleichen. Depa aber versorgt die privaten Kraftwerksbetreiber, die fast ein Drittel des Stroms in Griechenland erzeugen. Stromsperren würden damit zu einer "realen Gefahr", wie griechische Energiemanager warnen - und dies zu Beginn der heißen Sommermonate.

Parteien distanzieren sich von Auflagen der Geldgeber

Auch die Krankenkassen haben hohe Schulden bei Pharmaherstellern und Apothekern, weshalb diese sogar Krebsmedikamente zuletzt nur gegen Vorkasse an die Patienten ausgaben. Eilig sorgte die Notregierung nun dafür, dass wenigstens ein Teil der Rechnungen bezahlt wird, um die Versorgung zu sichern. Zuvor hatten Syriza und ND heftig darüber gestritten, wer am Desaster schuld sei.

Ein hoher Regierungsbeamter sprach von einem "Vorgeschmack" auf das, was Griechenland noch im Juni, kurz nach dem Wahltag, drohen könnte, wenn EU und Internationaler Währungsfonds (IWF) die Auszahlung der nächsten Kreditrate verweigern sollten. Keine griechische Regierung könne "die politischen Kosten eines Austritts aus der Euro-Zone" tragen, warnte der Mann, "sie würde sofort ihre Legitimation verlieren".

Auch die Konservativen und die sozialistische Pasok, die womöglich als Koalitionspartner gebraucht wird, distanzieren sich in ihren Wahlprogrammen deutlich von den Vereinbarungen mit EU und IWF, die sie unterschrieben haben. Die Pasok will keine Staatsdiener mehr entlassen, und die ND verspricht neue Gehaltszulagen für Polizisten und Kampfpiloten sowie Steuersenkungen.

Den Bezug von Arbeitslosengeld wollen alle drei Parteien von bislang nur einem Jahr auf mindestens zwei Jahre verlängern. Die Arbeitslosigkeit ist bereits auf mehr als 20 Prozent gestiegen, die der jungen Menschen auf mehr als 50 Prozent. Arbeitslosigkeit und Lohnkürzungen bewirkten auch, dass die Steuereinnahmen in den ersten vier Monaten des Jahres weit hinter den mit der EU vereinbarten Zielen zurückgeblieben sind. Das griechische Finanzministerium berichtet von Mindereinnahmen von fast 500 Millionen Euro. Noch einmal 800 Millionen Euro fehlen aus der Mehrwertsteuer, obwohl sie auf 23 Prozent erhöht wurde.

Heftiger Kampf um die Wähler

Der Wahlkampf wird mit großer Härte geführt. Linke wie Konservative lassen kaum Kompromissmöglichkeiten erkennen. Die ND wirbt mit einem hochemotionalen TV-Spot für sich. Darin fragen Schülerinnen ihren Lehrer, warum Griechenland die Euro-Zone verlassen müsse. Der Spot soll vor allem auf Frauen wirken. In einem Interview mit der Zeitung Kathimerini sprach Tsipras von einer "Angst-Kampagne" der Konservativen. Die Chance zu einer gemeinsamen TV-Debatte haben Tsipras und Samaras nun ausgeschlagen. Unterhändler der Parteien hatten sich schon über einen gemeinsamen Auftritt am kommenden Montag verständigt und dies per Handschlag besiegelt, da ließen die Parteichefs die Sache platzen und machten den jeweils anderen für das Scheitern verantwortlich.

Rasch geeinigt hatten sich die Kontrahenten zuvor nur darauf, dass sie sich nicht mit der Neonazi-Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) an einen TV-Tisch setzen würden, die am 6. Mai mit sieben Prozent erstmals ins Parlament eingezogen war. Nach einem Vorfall am Donnerstag dürfte das Verdikt für alle Parteien gelten. In einer Talkrunde des Senders Antenna überschüttete der Sprecher der Rechtsextremen, Ilias Kasidiaris, erst eine Syriza-Politikerin mit Wasser und schlug dann die kommunistische Abgeordnete Liana Kanelli drei Mal ins Gesicht. Der Mann ist seither flüchtig.

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