Um 15:17 Uhr deutscher Zeit am Sonntagnachmittag verschickt Donald Tusk einen Tweet. Die Verhandlungen der Euro-Gruppe zu Griechenland haben begonnen, teilt er mit.
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Um 8:55 Uhr deutscher Zeit, mittlerweile ist es Montagmorgen, meldet sich der amtierende EU-Ratspräsident erneut auf Twitter. Er verkündet das Ergebnis des Gipfels: Neues Rettungspaket für Griechenland. Geld gegen Reformen, in einem Drei-Jahres-Programm. Insgesamt geht es um mehr als 80 Milliarden Euro.
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Wir rechnen: 17 Stunden und 38 Minuten liegen zwischen den beiden Tweets. So lange haben die griechische Regierung unter Führung von Premier Alexis Tsipras und die anderen 18 Finanzminister und Regierungschefs debattiert, argumentiert und taktiert. Fast 18 Stunden, das ist - nur zum Vergleich - eine Zeitspanne, in der man zwei Transatlantikflüge absolvieren oder ungefähr 300 durchschnittlich lange Popsongs hören könnte.
Warum vertagen die Politiker die Sitzung nicht einfach?
Ob bei den Tarifverhandlungen zwischen Bahn und Lokführern, ob bei Koalitionsverhandlungen oder eben in Sachen Griechenland - die Nachtsitzung ist im politischen Betrieb fest etabliert. Es scheint so, als sei unter politischem Spitzenpersonal eine Einigung nichts wert, wenn sie zu den regulären Bürozeiten erzielt wurde.
Doch warum vertagen die Politiker die Sitzung nicht einfach? Wären die Ergebnisse nicht besser, wenn alle Teilnehmer ausgeschlafen sind? Oder ist das Verhandeln bis zum Morgengrauen einfach nur Taktik, um den Verhandlungspartner mürbe zu machen?
Wissenschaftler sagen, dass mehr als 24 Stunden ohne Schlaf sich ähnlich auswirken wie ein leichter Alkoholrausch. Bei Politikern, die eine ganze Nacht lang in einer Sitzung sitzen, litten Konzentration, Kurzzeitgedächtnis und das Reaktionsvermögen. Das logische Denken und die Fähigkeit zur Einschätzung von Argumenten würden von Schlafmangel - wenn es sich nur um eine Nacht handele - jedoch kaum beeinträchtigt. Schließlich ist der Politiker kein Pilot, der innerhalb von Sekunden reagieren muss.
Die Taktik des Mürbemachens - sie funktioniert also nur bedingt. Das bestätigt auch der deutsche Spitzendiplomat Jürgen Chrobog, der an der Seite mehrerer Außenminister und Bundeskanzler hunderte Verhandlungen durchmachte. "Da knickt keiner ein, nur weil er müde wird. Jedenfalls keiner von denen, auf die es ankommt. Der hohe Adrenalinausstoß führt dazu, dass man sehr konzentriert verhandelt. Aus Nachlässigkeit oder Übermüdung passieren da kaum Fehler", so Chrobog vor ein paar Monaten in einem Interview mit der SZ.
Setzt das Arbeiten über Nacht kreative Energien frei?
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Der langjährige Diplomat nennt einen anderen Grund für nächtliche Dauersitzungen: Den unter den Politikern vorherrschenden Glauben, die Wähler würden genau das erwarten. "Das gehörte zum Ritual. Da musste man 24 Stunden durchverhandelt haben, sonst konnte man nicht nach Hause gehen und sagen: 'Ich habe gekämpft'", sagt Chrobog.
Gibt es darüber hinaus eine besondere Macht der Nacht, eine Magie des Schaffens in jenen Stunden, in denen der Mensch normalerweise schläft? Setzt das Arbeiten über Nacht kreative Energien frei, so wie bei Franz Kafka, der seine fulminante Erzählung "Das Urteil" einem Tagebucheintrag zufolge in einer einzigen Nacht im Jahr 1912 heruntergeschrieben haben soll?
Mag sein, dass es solche Nächte tatsächlich gibt. Doch nicht mal bei einem Weltliteraten vom Format Kafkas ist gesichert, dass die Geschichte wirklich stimmt. Und selbst wenn: Bei allen späteren Werken soll ihm das Schreiben extrem schwer gefallen sein.
Auch wenn Literatur und Politik zwei unterschiedliche Sphären sind: Vielleicht sollte sich die Euro-Gruppe ein Beispiel daran nehmen und das Verhandeln über Nacht nicht in inflationärer Häufung betreiben. Zwar gab es auch schon früher extrem lange Sitzungen, etwa im Dezember 1991, als die Staats- und Regierungschefs 31 Stunden lang über den Maastricht-Vertrag verhandelten. Doch in der Griechenland-Krise hatte man bisweilen den Eindruck, als reihe sich Nachtsitzung an Nachtsitzung, so wie dem letzten Ultimatum immer noch einmal ein allerletztes Ultimatum folgte.
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