Flüchtlinge in Griechenland:Erstes Asyl-Interview im April 2022

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Der Bürgermeister der Inselhauptstadt Mytilini, Stratos Kytelis, fordert im Nachrichtensender Skai: "Tausende Migranten müssen so schnell wie möglich aufs Festland. So kann es nicht weitergehen." Die Regierung in Athen hatte bereits Ende vergangener Woche beschlossen, zügig etwa 10 000 Migranten aus den fünf Insellagern auf Lesbos, Chios, Samos, Kos und Leros ans Festland zu bringen. Bürgerschutzminister Michalis Chrysochoidis überzeugte am Freitag die Gouverneure der 13 Provinzen, je 500 bis zu 1000 Geflüchtete unterzubringen. Damit es rasch geht, sollen zunächst leer stehende Hotels angemietet werden. Priorität hätten Familien und Kinder.

Athen reagiert damit auf einen neuen starken Zustrom von Migranten, die übers Meer aus der Türkei kommen. Im August waren es mehr als 9000, im September bislang mehr als 8000. Das sind die höchsten Zahlen, seit die EU und die Türkei im März 2016 ein Flüchtlingsabkommen schlossen.

Ein Kernelement davon ist "die geografische Restriktion", gemeint ist der Verbleib der Migranten auf den Inseln. Hier soll über die Asylanträge entschieden werden. Wer kein Asyl erhält, soll in die Türkei zurückgebracht werden. Im März 2016 hatte offenbar aber niemand erwartet, dass die Verfahren Jahre dauern, Kinder in der Zeit keine Schulen besuchen, die Menschen in Containern leben müssen. Die griechische Asylbürokratie ist komplex und unterbesetzt. "Wer jetzt auf Lesbos ankommt, muss bis April 2022 auf sein erstes Asyl-Interview warten", sagte ein hoher griechischer Beamter der SZ. Die fünf sogenannten Hotspots auf den Inseln waren schon vor dem jüngsten Zustrom überfüllt.

Die Küstenwachen beider Länder kommunizierten inzwischen recht eng. Die türkische halte täglich fünf bis sieben Boote auf, die griechische, mit 50 Schiffen unterwegs, berichte von 30 Vorfällen am Tag, "das heißt, sie retten 400 bis 500 Migranten". Das schreibt die griechische Zeitung Kathimerini. Stamatis Raptis, Chef der griechischen Küstenwache, will am Mittwoch nach Ankara reisen.

Ob Raptis dort erfahren wird, warum so viele Menschen derzeit nach Europa fliehen? Man darf es bezweifeln. Beim UNHCR in Athen verweisen sie auf die Sanktionen gegen Iran, diese verschärfen die wirtschaftliche Lage, das dränge viele dort lebende Afghanen aus dem Land. Der "globale Kontext" werde von den Europäern oft übersehen, sagt Philippe Leclerc, UNHCR-Chef in Athen. 40 Prozent der Neuankömmlinge auf den Inseln sind Afghanen. 14 Prozent sind Syrer. Sie spüren in der Türkei ökonomischen und politischen Druck. Der türkische Innenminister Süleyman Soylu hat allen nicht registrierten Syrern in Istanbul - deren Zahl keiner kennt - eine Frist bis 30. Oktober gesetzt. Bis dahin sollen sie in die Provinzen in der Türkei zurückkehren, in denen sie ursprünglich registriert wurden. Dort aber finden viele keine Arbeit.

Aus Moria sollten noch am Montag 250 Menschen aufs Festland gebracht werden. Bis Ende Oktober sollen es 3000 sein, erklärt die Regierung. Hält der gegenwärtige Zustrom an, wird sich an der Enge in Moria auch dann kaum etwas ändern.

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