Kompensation für deutsche Besatzung Griechenlands:Erinnern statt bezahlen

Von Reparationsforderungen griechischer NS-Opfer will Deutschland nichts wissen. Stattdessen wurde ein Fonds eingerichtet - zur Förderung einer "Erinnerungskultur". Betroffene sind misstrauisch: Soll hier Geschichte umgeschrieben werden?

Von Christiane Schlötzer

Als der Grieche Aristomenis Syngelakis drei Jahre alt war, hat sich der deutsche Schriftsteller Günter Wallraff vor dem Parlament in Athen auf dem zentralen Syntagmaplatz an einen Laternenpfahl angekettet - aus Protest gegen die damals herrschenden Militärdiktatoren. Wallraff wurde blutig geschlagen und festgenommen, 77 Tage blieb er in Haft. Im Mai 1974 war das. Natürlich hat Aristomenis Syngelakis dies als Kind nicht mitbekommen, aber später hat man es ihm erzählt, und er hat es in seinem Gedächtnis bewahrt. "Wir können die Unterstützung des deutschen Volkes während der Zeit der Junta nicht vergessen", sagt der 44-Jährige.

Der gebürtige Kreter hat ein bescheidendes Café im Zentrum Athens für das Treffen ausgesucht. Er will über Deutschland reden - und die griechischen Reparationsforderungen für die Verbrechen aus einer anderen dunklen Zeit. Auch aus dieser Zeit hat man Syngelakis viel erzählt. Seine engsten Verwandten taten das. "Mein Vater hat 20 Familienmitglieder verloren."

Am 16. und 17. September 1943 zerstörten Wehrmachtsangehörige auf Kreta etwa 20 Dörfer in der Bergregion von Viannos und töteten mehr als 400 Menschen. Aus Rache für einen Partisanenüberfall. Einer der Ermordeten hieß auch Aristomenis. Seinen Namen zu tragen, ist für den Jüngeren wie eine Verpflichtung. "Sich für Gerechtigkeit einzusetzen, ist nicht nur eine Frage der älteren Generation."

"Es gibt 99 anerkannte Märtyrer-Dörfer"

Syngelakis gehört dem "Nationalrat für die Entschädigungsfragen Griechenlands gegenüber Deutschland an". Der versteht sieht als Interessensvertretung jener Orte, in denen SS-Leute und Wehrmachtssoldaten während der Besatzung Griechenlands von April 1941 bis Oktober 1944 wüteten. "Es gibt 99 offiziell anerkannte Märtyrer-Dörfer", sagt Syngelakis, aber noch mehr Orte, an denen Verbrechen geschahen.

In der Heimat von Syngelakis, in Viannos, wurde den Überlebenden gar verboten, ihre Toten zu begraben. Der deutsche Befehlshaber, General Friedrich-Wilhelm Müller, wurde 1945 von der Roten Armee in Ostpreußen gefangen genommen und an Athen ausgeliefert. Er kam vor ein Militärgericht - als einer von ganz wenigen der für die Kriegsverbrechen in Griechenland Verantwortlichen. Müller wurde zum Tod verurteilt und 1947 hingerichtet.

Entschädigungen für die Familien der Opfer in Viannos habe es nie gegeben, sagt Syngelakis. "Mein Vater war sieben Jahre alt, als er seinen Vater durch das Massaker verloren hat, jetzt ist er fast 80, und ich möchte, dass er noch erlebt, dass wir mit Deutschland Verhandlungen beginnen."

Vom "Deutsch-Griechischen Zukunftsfonds" hat Syngelakis gehört. Er war auch vor gut einem Jahr in Lyngiades dabei, auch der Ort eines schlimmen Verbrechens, als sich Bundespräsident Joachim Gauck dort vor dem Mahnmal verneigte und um Verzeihung bat. "Das war gut zu hören", sagt der Grieche.

Danach wurde der Zukunftsfonds geschaffen, ausgestattet mit einer Million Euro pro Jahr, für vier Jahre, bis 2017. Beschlossen hat dies der Bundestag. Der Fonds soll historische Forschungsprojekte besonders von Nachwuchswissenschaftlern fördern, mit dem Ziel einer "deutsch-griechischen Erinnerungskultur". So heißt es im Auswärtigen Amt, aus dessen Etat das Geld kommt. Syngelakis kann damit wenig anfangen, das Ganze hat ihn eher misstrauisch gemacht: "Hier soll die Geschichte neu geschrieben werden, so wie Deutschland sich das wünscht."

Auch in vielen Märtyrer-Dörfern gibt es Skepsis. Ein Argument lautet: Deutschland wolle sich mit dem Fonds von Entschädigungsforderungen "freikaufen". Aber die Gemeinden sind sich nicht einig. In der Kleinstadt Kalavryta im Norden der Halbinsel Peloponnes, von den Deutschen einst total zerstört, wird mit Hilfe des Fonds das örtliche Skizentrum modernisiert - um den Tourismus zu fördern. Andernorts fließt Geld in eine Kirchenrestaurierung, auch ein Jazzprojekt gibt es: "Songs für Kommeno". Mit der Stadt Thessaloniki wird eine Handy-App entwickelt, die zu Spaziergängen auf den Spuren der jüdischen Gemeinde anregen soll. Von den Nazis wurde fast die gesamte jüdische Bevölkerung nach Auschwitz deportiert.

Gauck verneigte sich, bat um Verzeihung. "Das war gut zu hören."

Syngelakis hat gehört, die Gemeinden müssten sich an den Projekten "zu 50 Prozent" beteiligen. Das stimmt nicht, aber es zeigt, wie viele Missverständnisse es noch gibt und wie schwierig die Verständigung in Zeiten politischer Hochspannung ist. In Griechenland wird auch bedauert, dass der Fonds kein eigenes Büro hat, dass Antragsteller sich an die deutsche Botschaft in Athen, das Konsulat in Thessaloniki oder an das Auswärtige Amt in Berlin direkt wenden müssen.

Im Vergleich zu den Erinnerungsstiftungen für Osteuropa erscheint ein Projekttopf mit insgesamt vier Millionen Euro für Griechenland klein. "Einer bedarfsgerechten Anpassung stehe ich offen gegenüber, wenn unser Angebot weiter auf ausreichendes Interesse stößt", sagte Michael Roth, der Staatsminister im Auswärtigen Amt, jüngst. Bislang sei aber noch kein Projekt an dem finanziellen Rahmen gescheitert.

Syngelakis sagt: Auch deutsche Unternehmen hätten sich einst in Griechenland bereichert, daher sollten "auch Firmen in den Fonds einzahlen". Wie bei der Zwangsarbeiterstiftung, die im Jahr 2000 geschaffen wurde. "Das wäre in gutes Modell."

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