Griechenland drohen Neuwahlen:"Vielen Wählern ist der Schreck in die Glieder gefahren"

Fast eine Woche nach den Parlamentswahlen in Griechenland scheint eine Regierungsbildung unmöglich. Dem hoch verschuldeten Land drohen Neuwahlen. Eine weitere Chance für die Radikalen? Wahlforscher sehen das anders: Die Regierungsparteien könnten von der aktuellen Situation sogar profitieren.

Hannah Beitzer und Antonie Rietzschel

Schon zwei Parteichefs sind gescheitert. Nun ist der Sozialist Venizelos an der Reihe, eine Regierung zu bilden. Findet auch er keinen Partner, sind Neuwahlen in Griechenland beinahe unumgänglich. Präsident Karolos Papoulias müsste dafür laut Verfassung ein Treffen aller Führer der Parlamentsparteien einberufen. Wenn sich auch dabei keine Möglichkeit zur Regierungsbildung ergibt, käme es zu Neuwahlen.

Griechenland Wahlen

Demonstrieren gegen das Sparpaket. Sollte es zu Neuwahlen kommen, werden sich die Griechen möglicherweise doch für die beiden Regierungsparteien entscheiden und somit auch für die Sparmaßnahmen.

(Foto: dpa)

Schon wieder wählen! Bringt das das gebeutelte Land weiter? Wie reagieren die Wähler, wenn sie so schnell wieder an die Urne gerufen werden? Bekommen die Radikalen noch mehr Stimmen? Oder sagen sie sich: Ein Denkzettel reicht.

Tatsächlich sieht es so aus, als könnten sich die Fronten bei einem erneuten Urnengang weiter verhärten: Der konservative Parteichef Antonis Samaras kündigte für den Fall einer Neuwahl Initiativen zur Bildung einer "pro-europäischen Mitte-Rechts-Front" an - als Antwort auf Tsipras' "linke anti-europäische" Position.

Der Wahl- und Parteienforscher Oskar Niedermayer hält diese Taktik für wenig hilfreich. Er wertet das schlechte Abschneiden der beiden ehemaligen Regierungsparteien Nea Dimokratia und Pasok nicht als ein Statement gegen deren pro-europäische Politik, sondern als Abfuhr für ihren restriktiven Sparkurs: "Die Mehrheit der Griechen ist für die EU."

Die Zeit drängt

Die aktuelle Lage in Griechenland bezeichnet er in ihrer Dramatik allerdings als "außergewöhnlich". Dass sich die Stimmenanteile der Regierungsparteien mehr als halbieren und extreme Positionen so starken Zuwachs bekommen, dafür kann Niedermeyer kein vergleichbares Beispiel in der Geschichte finden.

Die EU-Partner drohen dem hochverschuldeten Land auch schon mit der Einstellung der Kredithilfe, sollte der Reformkurs nicht konsequent fortgesetzt werden. Für das Land würde das den Staatsbankrott bedeuten. Die Zeit drängt.

Dass bei den Wahlen angesichts der Krise so viele Griechen für die Nationalisten und Sozialisten stimmten, sieht Niedermayer als Ausdruck von Protest. Das Ergebnis zeige, dass den Menschen nicht klar sei, was es bedeute, von einer radikalen Regierung geführt zu werden. Diese würde das Sparprogramm aufkündigen. Die Konsequenz wäre der Staatsbankrott. Spätestens dann würde den Griechen schnell bewusst, dass das Sparpaket im Vergleich zur Pleite das viel kleinere Übel sei.

Konsequenz wäre der Staatsbankrott

Doch dass in Griechenland tatsächlich radikale Kräfte an die Macht kommen werden, hält Niedermeyer für unwahrscheinlich. Gäbe es im Juni Neuwahlen, würden Pasok und Nea Demokratika seiner Einschätzung nach genug Stimmen bekommen, um eine Regierung zu bilden. "Möglicherweise ist vielen Wählern der Schreck in die Glieder gefahren. Sie mussten mit ansehen, wie stark die extremen Parteien, auch dank ihrer Stimme, geworden sind", sagt er. Bei einer Neuwahl würden die sich dann für die gemäßigten Positionen entscheiden. Damit wäre die Ausgangssituation wiederhergestellt.

Radikale Kräfte erschweren die Regierungsbildung

Griechenland ist nicht der einzige Staat in Europa, in dem radikale Strömungen erstarken. Und wo radikale Kräfte auftauchen, erschweren sie häufig die Regierungsbildung. Bei den niederländischen Parlamentswahlen im Juni 2010 zum Beispiel wurde die rechtspopulistische Freiheitspartei von Geert Wilders drittstärkste Kraft. Die Regierungsbildung dauerte ein halbes Jahr. Schließlich stützten die Rechten eine konservative Minderheitsregierung unter Premierminister Mark Rutte, die vor einigen Wochen scheiterte. Nun wird es im September Neuwahlen geben.

Einen Negativrekord hält Belgien: Anderthalb Jahre, ganze 541 Tage, brauchte das Land nach den Parlamentswahlen 2010 für die Regierungsbildung. Stärkste Kraft im Parlament wurden die flämischen Nationalisten und Separatisten der N-VA um Bart de Wever. Die moderateren Kräfte konnten sich lange nicht auf eine Regierung einigen, der Streit zwischen französischsprachigen Wallonen im Süden und niederländisch sprechenden Flamen im Norden Belgiens lähmte monatelang das politische System des Landes.

Die griechischen Politiker hingegen können sich mit der Regierungsbildung keine anderthalb Jahre Zeit lassen - das haben die Geldgeber des Landes deutlich gemacht.

Auch weil weiterhin schlechte Zahlen aus Griechenland kommen: So ist die Arbeitslosigkeit auf 21,7 Prozent gestiegen - und damit auf ein neues Rekordhoch. Jeder fünfte Grieche, unter den Jugendlichen sogar jeder zweite, hat mittlerweile kein geregeltes Einkommen mehr.

Hinzu kommt die Ankündigung der Trioka aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds, einen Teil der eigentlich für diesen Donnerstag fälligen Tranche in Höhe von 5,2 Milliarden Euro zurückzuhalten. Wegen der unklaren politischen Lage werde eine Milliarde aus dem Rettungsfonds EFSF erst im Juni ausgezahlt, hatte die Trioka am Mittwochabend mitgeteilt.

Es klingt, als hätten die Griechen tatsächlich: kaum eine Wahl.

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