Griechenland:Das Wahnsinnsjahr des Alexis Tsipras

Griechenland: Alexis Tsipras gibt am Sonntag in Athen seine Stimme ab.

Alexis Tsipras gibt am Sonntag in Athen seine Stimme ab.

(Foto: AFP)
  • Alexis Tsipras erreicht bei den griechischen Parlamentswahlen mit Syriza eine deutliche Mehrheit.
  • Das Wahlergebnis macht allerdings eine Koalition nötig.
  • Für Tsipras ist der Sieg ein weiterer Höhepunkt in einem bemerkenswert ereignisreichen Jahr 2015.

Rückblick von Jakob Schulz

Schweißgebadet wacht Alexis Tsipras nachts in seinem Bett auf. Ein Albtraum hat den Premier aus dem Schlaf gerissen. "Was hast du geträumt?", fragt ihn seine Frau. "Ich wurde wiedergewählt", antwortet Tsipras. Es ist eine scharfsinnige Karikatur, mit der die griechische Tageszeitung Kathimerini im September ihre Leser amüsiert. Sie spielt darauf an, dass Tsipras nach einem neuerlichen Wahlsieg schmerzhafte Reformen durchdrücken muss.

Dieser Fall, der in den Tagen vor der Abstimmung fraglich schien, tritt nun ein: Mit einem komfortablen Vorsprung von knapp sieben Prozent liegt Tsipras' Syriza-Partei vor den Konservativen. Der 41 Jahre alte "Triumphator" feiert damit innerhalb von acht Monaten zum dritten Mal einen eindeutigen Sieg. Gewiss: Die Wahlbeteiligung ist so niedrig wie nie, der Frust im Volk ist enorm. Aber letztlich ging es vielen Griechen wohl wie der Gruppe der Jungwähler, von denen 40 Prozent für Syriza stimmten: Die anderen Politiker konnten noch weniger überzeugen als Tsipras.

Mit seinem Rücktritt als Premier nach nur sieben Monaten und der Verkündung von Neuwahlen hatte Tsipras im August hoch gepokert - und hat nun wieder gewonnen. Doch in seiner zweiten Amtszeit muss er weitere harte Einschnitte durchsetzen, vermutlich erneut in einer Koalition mit der rechtspopulistischen Anel.

Mit dem neuerlichen Wahlsieg ist das bemerkenswert ereignisreiche Jahr 2015 des Alexis Tsipras um einen Höhepunkt reicher. Ein Rückblick.

Januar: Linksruck in Athen

Ende Januar gewinnt Tsipras mit seinem Linksbündnis Syriza die Parlamentswahlen. Weil Syriza die absolute Mehrheit verpasst, braucht Tsipras einen Koalitionspartner. Den findet Syriza überraschend in der rechten Partei Unabhängige Griechen (Anel).

Die ersten Tage der neuen Links-Rechts-Regierung sind von Aktionismus geprägt. Tsipras arbeitet einige Wahlversprechen ab. Er stoppt Privatisierungen, macht Entlassungen von Beamten rückgängig. Er kündigt außerdem die Zusammenarbeit mit der verhassten Troika auf (den drei Gläubiger-Institutionen aus Währungsfonds IWF, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission).

Auf einer Europa-Tour wirbt er für einen Schuldenerlass für Hellas, doch Politiker in Brüssel und in Europas Hauptstädten bleiben hart. Auf die Frage, wie man mit dem aufmüpfigen Griechen umgehen soll, findet Europa zunächst keine Antwort. Eine Woche nach der Wahl ist die Stimmung zwischen Athen und den Gläubigern vergiftet.

Februar: Getrieben von fälligen Milliardenkrediten

Die Rückzahlungsfristen fälliger Milliarden-Kredite geben Tsipras und seinem Kabinett fortan den Takt vor. Allein im ersten Quartal 2015 werden mehr als vier Milliarden Euro fällig. Der Februar ist ein Schicksalsmonat für Athen - so scheint es zumindest. In Brüssel verhandeln die Euro-Finanzminister bis tief in die Nacht. Eine Einigung scheint in Sicht, Wolfgang Schäuble macht sich schon auf den Weg ins Hotel. Dann der Schock: Tsipras distanziert sich kurzfristig von der Einigung. Wieder sind alle sauer.

Grund ist vor allem ein Wort: "Verlängerung". Das zweite Kreditprogramm läuft Ende Februar aus. Die Gläubiger wollen das Programm bis Juli verlängern und bis dahin in Ruhe ein drittes Kreditpaket verhandeln. Tsipras dagegen will das Wort "Verlängerung" vermeiden.

Die Bühne dominineirt in diesen Tagen der extrovertierte griechische Finanzminister Yanis Varoufakis. Der verwirrt die Welt mit einer Vielzahl von Interviews und verärgert seine europäischen Kollegen. Im Gegenzug für eine Liste mit Reformversprechen einigt man sich schließlich doch auf eine Verlängerung des Programms bis Juli. Viele Syriza-Anhänger sind von Tsipras enttäuscht, in Athen randalieren radikale Linke.

Und Tsipras? Nachdem europäische Parlamente die Verlängerung abgesegnet haben, fordert der Premier erneut einen Schuldenschnitt. Und wieder sind die europäischen Verhandlungspartner sauer.

Frühjahr: Knappe Kassen, verärgerte Geldgeber

Hat Alexis Tsipras sein Land nun bis Juli vorerst gerettet? Mitnichten. Die Steuereinnahmen gehen dramatisch zurück. Gleiches gilt für die Einkommen der Bürger. Ein Viertel der erwerbsfähigen Griechen ist arbeitslos. Gerade die Armen werden zudem durch die höhere Mehrwertsteuer und andere Belastungen immer stärker in die Mangel genommen.

Parallel erreicht die Stimmung zwischen Athen und den Gläubigern immer neue Tiefpunkte. Die Regierung Tsipras verspricht konkrete Reformzusagen, zufrieden ist man in Brüssel, Berlin oder Paris über die Vorschläge aber nicht. Zwischendurch jettet Tsipras nach Moskau, wo Wladimir Putin mit Einnahmen aus einem Pipeline-Projekt lockt. Ebenfalls nicht für Entspannung sorgen Forderungen aus Griechenland, Deutschland müsse milliardenschwere Reparationen für Verbrechen im Zweiten Weltkrieg zahlen.

Ende Juni ist Tsipras in Europa isoliert wie nie. Auf dem EU-Gipfel in Brüssel wird er von Politikern zahlreicher Länder heftig attackiert. Überraschend kündigt der Premier dann an, ein Referendum abzuhalten: Griechenlands Bürger sollen binnen einer Woche über die Sparforderungen der Gläubiger abstimmen. Die Kreditgeber sind völlig überrumpelt.

Juli: Griechenland sagt "Nein"

Terminlich ist das ein Problem: Die Bürger sollen am 5. Juli abstimmen, doch schon Ende Juni läuft das zweite Kreditpaket aus. Immer mehr Griechen heben panisch Geld von ihren Konten ab. Den Banken gehen die Mittel aus. Die Regierung schließt die Banken und verhängt Kapitalverkehrskontrollen. Vor den Geldautomaten bilden sich lange Schlangen: Pro Tag gibt es maximal 60 Euro. Die Lage im Land ist gespenstisch.

Vor der Abstimmung über die Spar- und Reformforderungen der Gläubiger wirbt Premier Tsipras energisch für ein "Nein". Mit Erfolg. Am 5. Juli stimmen 61 Prozent der Wähler mit "OXI". Es ist ein großer Sieg für Tsipras. Sein Widersacher Antonis Samaras, Parteichef von Nea Dimokratia, tritt zurück. Tsipras sieht seine Verhandlungsposition durch das klare "Nein" gestärkt, in Umfragen erreicht seine Popularität neue Höchstwerte. Ganz anders sieht es innerparteilich aus. Der linke Syriza-Flügel wütet immer heftiger gegen Tsipras. Eine Revolte deutet sich an.

Nach dem Referendum schickt Tsipras neue Reformvorschläge nach Brüssel. Die unterscheiden sich nicht groß von den Forderungen der Gläubiger. Die Verhandlungen am 12. Juli drohen trotzdem mehrfach zu scheitern. Erst nach 17 Stunden einigen sich Athen und die europäischen Partner, Verhandlungen über ein drittes Kreditpaket aufzunehmen. Kurz hintereinander stimmt das griechische Parlament mehrfach für neue Sparmaßnahmen. Viele Syriza-Anhänger verweigern sich dem Willen ihres Premiers, Tsipras kann die Gesetze nur mit Stimmen der Opposition durchbringen. Der Premier tauscht tauscht später einige untreue Minister aus.

August: Einigung, Rücktritt, Zerfall

Nach wochenlangen Verhandlungen einigen sich Unterhändler aus Athen und der internationalen Geldgeber auf ein drittes Kreditprogramm. Die griechischen Parlamentarier müssen darüber abstimmen. Wie schon im Juli passiert das Kredit- und Sparprogramm nur mit den Stimmen der Opposition das Parlament. Immer weniger Syriza-Parlamentarier stimmen mit Tsipras. Später verabschieden weitere europäische Parlamente die Einigung, darunter auch der Bundestag.

Am 20. August endet Tsipras' Amtszeit vorzeitig. Der Premier tritt zurück und ruft Neuwahlen aus. Am Tag darauf zerfällt sein Linksbündnis Syriza endgültig. Der ehemalige Energieminister und Tsipras-Gegenspieler Panagiotis Lafazanis spaltet den linken Parteiflügel ab. Dieser bildet als Volkseinheit (LAE) eine eigene Parlamentsgruppe und kurz darauf eine neue Partei. Insgesamt muss Syriza 25 Abweichler beklagen.

September: Tsipras' Poker geht auf

Immer schlechteren Umfragewerten zum Trotz holt Tsipras bei der Parlamentswahl am 20. September eine klare Mehrheit. Als Koalitionspartner wählt er erneut die rechtspopulistischen "Unabhängigen Griechen".

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