Griechenland:Blaue Stunde

Griechenland: Im Aufwind: Kyriakos Mitsotakis (rechts), Chef der konservativen Nea Dimokratia, wird von Anhängern beglückwünscht.

Im Aufwind: Kyriakos Mitsotakis (rechts), Chef der konservativen Nea Dimokratia, wird von Anhängern beglückwünscht.

(Foto: Stelios Misinas/AFP)

Alles Kämpferische scheint weg zu sein: Ein erschöpfter Regierungschef Alexis Tsipras will nun Neuwahlen in Griechenland.

Von Christiane Schlötzer, Athen

Wahlprognosen seien "wie Würstchen", schnell gegessen. So hatte Finanzminister Euklid Tsakalotos noch gescherzt, im Staatsfernsehen, und versichert, Syriza werde "keine strategische Niederlage" erleben. Vier Stunden später, kurz vor Mitternacht, verkündet ein erschöpft wirkender Regierungschef, das Ergebnis "entspricht nicht unseren Erwartungen, ich werde es nicht ignorieren". In Griechenland werde es Neuwahlen geben, und zwar sofort. "Ich habe nie den einfachen Weg gewählt, und ich werde es auch jetzt nicht tun", sagt Alexis Tsipras. Aber alles Kämpferische, das der 44 Jahre alten Linkspolitiker sonst ausstrahlt, ist weg. Tsipras trägt bei diesem Auftritt, der schon wie ein Abschied wirkt, ein makelloses, weißes Hemd. Die Wand in der Parteizentrale, vor der er steht und in die Mikrofone spricht, ist tiefrot.

Der Wahlsieger hat zu diesem Moment längst den Regierungschef zum Rücktritt aufgefordert. Kyriakos Mitsotakis, 51, Chef der konservativen Nea Dimokratia (ND), forderte als Erster am Sonntagabend vorgezogene Parlamentswahlen. "Es ist offensichtlich, dass das griechische Volk dieser Regierung das Vertrauen entzogen hat", sagt Mitsotakis, er sei bereit, seine "patriotische Pflicht" zu erfüllen. Griechenland werde sich "blau färben", hatte er schon vor dem Wahltag gesagt. Blau ist die Parteifarbe der ND.

Die Landkarten, die das Fernsehen am Montag zeigt, sind tatsächlich sehr blau, mit wenigen roten Flecken. Das hat zwar nicht mit der Europawahl zu tun, aber mit der gleichzeitigen Regional- und Kommunalwahl. In Attika, der größten Region, hatte vor vier Jahren Rena Dourou als erste Syriza-Politikerin das Amt der Gouverneurin erobert. Auch sie musste ihre Niederlage eingestehen. 19 Prozent bekam sie, etwa halb so viele Stimmen wie ihr konservativer Konkurrent. Vielerorts sind am nächsten Sonntag Stichwahlen nötig, aber der Farbwechsel ist schon unübersehbar.

Auch der Bürgermeisterposten in Athen, meist Sprungbrett für höhere Ämter, geht an einen Konservativen, an Kostas Bakoyannis, ein Neffe des Parteichefs und Spross einer Politikerdynastie. In Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt, landete der linke Kandidat erst auf Platz vier. In Küstenorten vor Athen, wo die Mittelschicht wohnt, gab es reihenweise gute Ergebnisse für Konservative, von bis zu 80 Prozent. "Putinesk", nannte dies ein griechischer Journalist. Dora Bakogianni, Ex-Außenministerin, sagt: Die Mittelschicht habe Tsipras hochgebracht und wieder fallen gelassen.

"Leute mit mittleren Einkommen haben besonders unter den hohen Steuern gelitten", sagt eine junge Frau, die am Montag auf einem Athener Krankenhausflur auf eine Behandlung wartet. Sie sagt, sie habe "trotz alledem" Syriza gewählt und sei nun "sehr enttäuscht". Tsipras habe dies "nicht verdient". Die Frau ist Lehrerin, in wenigen Wochen wird sie wieder einmal arbeitslos sein - das Schicksal vieler Pädagogen, die erst im Herbst erneut angestellt werden. Mit der Linken sei man "eben strenger", sagt sie, was man bei Konservativen akzeptiere, schade den Linken.

Der Urlaub des Premiers auf der Jacht des Reeders belebte die Opposition

Zum Beispiel ein Jachtausflug: Vor wenigen Wochen kam heraus, dass Tsipras im Sommer 2018 einen Kurzurlaub auf der Jacht einer Reederfamilie verbracht hatte. Die Bilder von dem Trip auf der Odyssey machten viel Wirbel, zumal das Land damals noch um die 100 Toten der Brandkatastrophe von Mati trauerte. Das Jahrhundertfeuer in dem Küstenort bei Athen offenbarte ein totales Behördenversagen: Feuerwehrleute, die von Vorgesetzten in die Irre geführt wurden, Menschen, die zwischen illegalen Bauten keine Rettung fanden. Tsipras sei "müde" gewesen, rechtfertigte die Reederwitwe die Einladung auf die Familienjacht.

Der Urlaub des Premiers auf Unternehmerkosten belebte dann vor allem die Opposition. Tsipras betonte zwar weiterhin, Syriza vertrete "die Vielen, nicht die Wenigen" - gemeint waren die Reichen, aber es klang nicht mehr so feurig. Mitsotakis nannte er einen "unverbesserlichen Neoliberalen". Der würde all die Rentenerhöhungen und Steuerkürzungen, die Syriza veranlasste, zurücknehmen, sagte Tsipras. Auch das half ihm nicht mehr wirklich.

Der Abstand zwischen ND und Syriza fiel mit 9,5 Prozentpunkten größer aus als je zuvor bei einer Europawahl in Griechenland: 33,2 Prozent für die ND - 23,7 Prozent für Syriza. Das ist eine größere Differenz, als die vielen Umfragen vorhergesagt hatten. Dass die Neonazi-Partei Chrysi Avgi nur 4,8 Prozent erhielt, nahmen viele Kommentatoren erleichtert auf, 2014 waren es noch 9,39 Prozent gewesen. Erschreckend ist allerdings, dass etwa 13 Prozent der Griechen im Alter von 17 bis 24 Jahren für die Neonazis stimmten. Eine rechte, prorussische Partei bekam auch 4,1 Prozent und einen Abgeordneten.

Die Zentrale von Syriza liegt am Athener Koumoundourou-Platz, wo die Stadt nicht edel und teuer ist. Nach dem Wahlsieg im Januar 2015 wurde das Haus nur frisch gestrichen. In der Nacht zum Montag haben sie dort im engen Kreis um Tsipras schon nach Fehlern gesucht. Die Kommunikation sei schlecht gewesen, hat einer gesagt. Ein anderer, Ex-Minister Nikos Filis, sagt es am Montag öffentlich: "Manche Verhaltensweisen haben einen Abstand zwischen Bürgern und Regierung geschaffen." Tsakalotos, der Finanzminister, der das mit der Wurst sagte, soll dafür gewesen sein, erst im Oktober zu wählen, wie es der reguläre Terminkalender vorsah. Tsipras, ganz Realist, sagte, das sei nicht durchzuhalten. Nun gilt der 30. Juni als möglicher Termin. Die Athener Börse machte nach der Wahlankündigung am Montag einen Sprung nach oben.

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