Griechenland:Alle gegen Tsipras

Ein Politiker nach dem anderen kritisiert Griechenlands Premier Tsipras für sein Referendum. Doch alle versprechen: "Die Tür ist offen." Stimmt das?

Von Paul Munzinger

Der jüngste Beitrag zur Anti-Tsipras-Offensive kam von Donald Tusk. "Jede Regierung hat das Recht, ein Referendum zu organisieren", sagte der polnische EU-Ratspräsident am Montag mit Blick auf die für Sonntag angekündigte Volksabstimmung in Griechenland über die Vorschläge der internationalen Gläubiger. "Aber eine Sache sollte vollkommen klar sein: Wenn irgendjemand sagt, dass die Regierung mit einem Nein-Votum eine stärkere Verhandlungsposition habe, ist das einfach nicht wahr".

"Nicht wahr" - da könnte man auch "gelogen" sagen. Es sind scharfe Worte, die Tusk wählte. Und er richtete sie keineswegs an "irgendjemanden", sondern an Alexis Tsipras.

"Ihre Regierung hat die Verhandlungen abgebrochen"

Dem Wunsch des griechischen Regierungschefs nach einer kurzfristigen Verlängerung des Hilfsprogramms erteilte der polnische EU-Ratspräsident eine Absage. Es ging nur um ein paar Tage, doch an seinem "Nein" ließ Tusk ebenso wenig Zweifel wie daran, wen er für dieses Nein verantwortlich macht. "Ihre Regierung", schrieb er Alexis Tsipras am Montag in einem Brief, "hat die Verhandlungen über das Hilfsprogramm abgebrochen."

Nach EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Parlamentspräsident Martin Schulz hat mit Tusk nun auch der letzte hochrangige Vertreter der EU sich in die Front derer eingereiht, die den griechischen Regierungschef unter Druck setzen, um ihn im letzten Moment doch noch an den Verhandlungstisch zurückzuholen. Die Reihen in Brüssel sind geschlossen. Und auch in anderen europäischen Hauptstädten scheint Tsipras kaum noch Fürsprecher zu haben.

Auch Tusk vergaß den obligatorischen Hinweis nicht, dass die Tür noch immer geöffnet sei. Dass Athen sich nach Ablauf des aktuellen Hilfsprogramms um neue Kredite bewerben könne. Dieses Bild wird derzeit in der ganzen Union, vom Mittelmeer bis zum Nordatlantik, fast mantraartig wiederholt. Eine kleine Auswahl der Leute, die die offene Tür - neben Tusk, Juncker und Schulz - seit dem Wochenende bemüht haben: Kanzlerin Angela Merkel, Finanzminister Wolfgang Schäuble, der Brüsseler Finanzkomissar Pierre Moscovici, Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem, der irische Premierminister Enda Kenny, Unions-Fraktionschef Volker Kauder, SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann - und so weiter.

Doch die "offene Tür" ist eigentlich nicht mehr als eine allerletzte diplomatische Girlande, die in Brüssel, Berlin und fast allen europäischen Hauptstädten noch um die Botschaften an Griechenland geflochten wird.

Die Tür ist nur offen, wenn Athen sich an die Spielregeln Europas hält

Denn genau genommen ist die Tür nicht offen. Sie ist geschlossen, seit Griechenland den Verhandlungstisch verließ. Aber sie ist noch nicht abgesperrt. Die Botschaft ist: Athen kann sie wieder öffnen. Wenn es nach den Bedingungen Europas spielt. Das hat Brüssel jetzt im Last-Minute-Vermittlungsangebot - wenige Stunden vor dem Auslaufen des Hilfspakets - klargestellt: Tsipras müsste noch am Dienstag dem Angebot der Geldgeber für ein Sparpaket zustimmen. Und er müsste sich beim Referendum am Sonntag für ein "Ja" aussprechen.

Diese Bedingungen Brüssels verlangen nichts anderes als eine Kehrtwende der Regierung in Athen. Am Montagabend erst sagte Tsipras: Sollten die Griechen sich wider Erwarten doch den Bedingungen der europäischen Institutionen unterwerfen, dann werde er das notfalls mit seinem Amt als Ministerpräsident bezahlen. "Wenn das griechische Volk einen gedemütigten Ministerpräsidenten will, gibt es da draußen einige", sagte Tsipras im griechischen Fernsehen. "Aber ich werde es nicht sein."

Es ist nicht allein das angekündigte Referendum an sich, das nun das kollektive europäische Abrücken von Tsipras auslöste. Es ist vor allem dessen demonstrative Entschlossenheit, sich für ein Nein der Griechen einzusetzen und dafür sogar seine politische Zukunft aufs Spiel zu setzen, die in Brüssel für Entsetzen sorgt.

Juncker zeigt sich vom Verhalten Tsipras' persönlich angegriffen: "Ich fühle mich ein bisschen verraten." Juncker warf Tsipras unverblümt vor, dem griechischen Volk zu verschweigen, worüber es da eigentlich abstimmen soll. Der Vorwurf der Lüge steht im Raum, oder zumindest der Vorwurf eines strategischen Umgangs mit der Wahrheit, auf den Juncker wie Tusk gleichermaßen empfindlich reagieren. "Die griechischen Bürger müssen wissen, worum es geht", sagte Juncker am Montag. "Sie haben ein Recht auf die volle Wahrheit".

Ungewöhnlich ist, abgesehen von dem mittlerweile sehr emotionalen Tonfall in diesem Streit, wie entschieden Juncker der Nein-Kampagne der griechischen Regierung eine eindeutige Wahlempfehlung dagegenhielt: "Ich wende mich an die griechischen Bürger und bitte sie, mit Ja abzustimmen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: