Süddeutsche Zeitung

Griechen protestieren gegen Sparpaket:Mehr als 120 Verletzte bei schweren Ausschreitungen

Das Parlament in Griechenland verabschiedet ein neues Sparpaket - parallel dazu bricht sich auf den Straßen Athens die Wut über geplante Lohnkürzungen und Massenentlassungen Bahn. Demonstranten plündern Läden und werfen Brandsätze, Häuser gehen in Flammen auf. Athen werde "als Hebel benutzt, um das Land zu destabilisieren", sagt Bürgermeister Giorgos Kaminis.

Begleitet von heftigen Ausschreitungen hat das griechische Parlament den harten Sparauflagen der Troika aus EU, EZB und IWF zugestimmt. Während die Abgeordneten über das umstrittene Sparpaket entschieden, protestierten etwa 100.000 Menschen am Sonntag vor dem Gebäude in Athen gegen Lohnkürzungen und Massenentlassungen. Randalierer setzten Dutzende Gebäude in Brand. Auch in anderen Städten kam es zu Ausschreitungen.

Athens Bürgermeister Giorgos Kaminis sagte, Randalierer hätten versucht, das Rathaus zu stürmen: "Einmal mehr wird die Stadt als Hebel benutzt, um das Land zu destabilisieren." Die Hauptstraßen Panepistimiou, Stadiou, die Einkaufsstraßen Athinas und Ermou und der zentrale Syntagma-Platz vor dem Parlament sahen am Montagmorgen wie ein Trümmerfeld aus. "Wir haben enorme Schäden", sagte Kaminis weiter.

Die Müllabfuhr und Dutzende Mitarbeiter der Stadt arbeiteten am Morgen auf Hochtouren, um die Trümmer zu beseitigen. 45 Gebäude wurden nach Feuerwehrangaben in Brand gesteckt, darunter etliche historische Gebäude. Auch Kinos, Banken und eine Cafeteria wurden beschädigt. Einige davon brannten völlig aus. Zahlreiche Läden und Banken wurden schwer beschädigt und geplündert, Dutzende Ampeln zerschlagen.

Empörte Händler standen am Morgen ratlos vor den Trümmern ihrer Geschäfte. Alle Parteien des Landes verurteilten die schweren Ausschreitungen und machten "dunkle Kreise" für das Chaos verantwortlich. Die schweren Ausschreitungen brachen am Rande einer friedlichen Demonstration von Zehntausenden Menschen aus, die am Vorabend vor dem Parlament in Athen gegen das harte Sparprogramm zur Rettung Griechenlands protestierten.

"Vandalismus wird nicht toleriert"

Demonstranten legten vor dem Parlament etliche Feuer. Einige warfen Brandbomben oder Steine. Die Bereitschaftspolizei bildete eine Kette vor dem Parlamentsgebäude und setzte Tränengas gegen die Demonstranten ein. Über dem Athener Syntagma-Platz vor dem Parlament hingen dicke Wolken aus Tränengas.

Viele Demonstranten trugen Gasmasken oder hatten das Gesicht vermummt. Ampeln sowie Tische und Stühle von Straßencafés wurden von jugendlichen Randalierern mit Baseballschlägern zertrümmert. Die Demonstranten spalteten sich in Gruppen auf und zündeten in verschiedenen Teilen der Stadt gleichzeitig Geschäfte und Banken an.

Parallel behinderten sie nach Aussagen eines Sprechers der Feuerwehr die Feuerwehrleute bei der Brandlöschung. 67 mutmaßliche Randalierer wurden verhaftet und weitere 70 Menschen in Gewahrsam genommen. Nach Krankenhausangaben wurden mehr als 120 Menschen verletzt.

Zu Gewaltakten kam es auch in sechs anderen Städten des Landes. Am schlimmsten war es Polizeiangaben zufolge in der Stadt Volos in Thessalien, wo Rathaus und Finanzamt in Brand gesteckt wurden.

Ministerpräsident Lukas Papadimos zeigte zwar Verständnis für den Widerstand in der Bevölkerung, lehnte die Gewalt aber entschieden ab. "Vandalismus und Zerstörung haben in einer Demokratie keinen Platz und werden nicht toleriert", sagte er. "Zu dieser entscheidenden Zeit können wir uns den Luxus dieser Art von Protest nicht leisten. Ich glaube, jedem ist bewusst, wie ernst die Lage ist."

Das griechische Parlament hatte in der Nacht ein neues Sparpaket beschlossen. Eine Mehrheit von 199 der 278 anwesenden Abgeordneten stimmte für das Sparpaket, das Entlassungen im öffentlichen Dienst sowie Kürzungen beim Mindestlohn und bei einigen Renten vorsieht.

EU-Währungskommissar Olli Rehn begrüßte die Zustimmung des griechischen Parlaments zu dem zweiten Sparprogramm: Das positive Votum zeige die Entschlossenheit des Landes, der Schuldenspirale ein Ende zu setzen, sagte Rehn in Brüssel. Allerdings betonte er, dass noch nicht alle Bedingungen für die Freigabe des zweiten Hilfspakets von 130 Milliarden Euro erfüllt seien.

Dazu gehören weitere Einsparungen von 325 Millionen Euro sowie die schriftliche Zusicherung der großen griechischen Parteien, das Sparprogramm umzusetzen. Er sei "zuversichtlich", dass die zusätzlichen Einsparungen bis zum Mittwoch zugesagt würden, sagte Rehn. Am Mittwoch will die Eurogruppe in Brüssel zusammenkommen, um über das Rettungspaket zu beraten. Die Ausschreitungen vom Sonntag bezeichnete Rehn als "nicht hinnehmbar".

Die Bundesregierung begrüßte die Beschlüsse des griechischen Parlaments in Athen zu einschneidenden Sparmaßnahmen "ausdrücklich". Die Beschlüsse zeigten "den Willen und die Bereitschaft der Griechen, große eigene Anstrengungen zu unternehmen, auch harte Einschnitte vorzunehmen, um ihr Land auf einen guten Weg zu führen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.

Verhaltener äußerte sich Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Ihm zufolge will Deutschland Griechenland nur noch helfen, wenn Athen Sparpakete nicht nur beschließt, sondern auch in die Tat umsetzt. "Deswegen reichen uns jetzt die Versprechen von Griechenland nicht mehr", sagte er der Welt am Sonntag.

"Wir wollen jetzt erst mal abwarten, was nach der Gesetzgebung kommt", sagte auch Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler. Der Bundestag werde erst nach dem Bericht der Gläubigergruppe aus IWF, EZB und EU-Kommission über ein weiteres Hilfspaket für Griechenland beraten, sagte der FDP-Politiker.

Der CSU-Finanzpolitiker Hans Michelbach begrüßte unmittelbar nach der Parlamentsabstimmung zwar das Ergebnis "als weiteren notwendigen Schritt". Von einer umfassenden Lösung seiner Probleme sei das Land aber noch weit entfernt, erklärte das Mitglied im Finanzausschuss des Bundestags in Berlin.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin forderte eine Initiative zur Stimulierung von Wachstum in Griechenland. "Wir brauchen eine Art Marshallplan", sagte Trittin im Deutschlandfunk. "Neben den notwendigen Einsparungen", fügte er hinzu.

Der Vorsitzende der Linkspartei, Klaus Ernst, sagte in der Online-Ausgabe der Mitteldeutschen Zeitung mit Blick auf Stimmen aus der Union, es sei "absolut verantwortungslos, den Euro-Ausstieg Griechenlands herbeizureden". Als Großimporteur von Lebensmitteln und Medikamenten drohe Griechenland eine Hunger- und Gesundheitskrise, wenn es seine Importe nicht mehr in Euro bezahlen könne.

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