Süddeutsche Zeitung

Verschärfte Grenzkontrollen:Geschnappt ohne Schlagbaum

Lesezeit: 2 min

Intelligente Kontrollen nennt es Seehofer: In 27 Tagen werden 178 abgewiesene Asylbewerber an der Wiedereinreise gehindert. Und es gibt einen "Beifang".

Von Constanze von Bullion, Berlin

Das Vokabular erinnert streckenweise an die Hochseefischerei, und irgendwann fällt noch das Wort "Beifang". 178 abgewiesene Asylbewerber, die trotz Wiedereinreisesperre erneut nach Deutschland fahren wollten, wurden an deutschen Grenzen abgefangen, seit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im November die Kontroll- und Fahndungsmaßnahmen verschärft hat. Bei 249 Personen wurde seither ein Haftbefehl vollstreckt. Und als "sogenannter Beifang", so drückte es Bundespolizei-Präsident Dieter Romann aus, wurden 1235 Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz registriert.

"Die intensiven Maßnahmen im Grenzraum sind dringend nötig. Wir können darauf nicht verzichten", sagte Seehofer am Mittwoch in Berlin. Zusammen mit Romann präsentierte Seehofer eine erste Bilanz der verstärkten Polizeikontrollen an deutschen Grenzen. Seehofer hatte sie am 6. November eingeführt. Anlass hatte der libanesische Clanchef Ibrahim Miri geboten: Nach jahrelangen vergeblichen Versuchen, Miri zur Ausreise zu bewegen, war er wegen bandenmäßigen Drogenhandels verurteilt und abgeschoben worden. Trotz Wiedereinreisesperre kehrte er aber nach Bremen zurück. Seehofer kündigte Konsequenzen an - und bundesweit verstärkte Kontrollen an den Grenzen, um solche Fälle künftig zu verhindern.

Brüssel hat zu mehr Schleierfahndung ermutigt

Die Rechtslage allerdings ist schwierig. Freizügigkeit gilt an den Binnengrenzen der Europäischen Union als hohes Gut, eine Rückkehr der Schlagbäume ist unerwünscht. Die Kontrollen etwa, die an der Grenze zwischen Bayern und Österreich eingeführt wurden, stoßen in Brüssel auf Kritik, werden aber dennoch ein ums andere Mal verlängert. Anders ist es bei der Schleierfahndung, bei der Polizisten im grenznahen Bereich anlasslos Kontrollen vornehmen dürfen, also Autos und oder Personen durchsuchen. Hierzu wurde in Brüssel sogar ermutigt, um echte Grenzkontrollen zu vermeiden.

Seit dem Fall Miri will Seehofer nun illegale Wiedereinreisen verhindern. Ob sein Vorhaben, die deutschen Grenzen schärfer zu überwachen, als echte "Kontrolle" zu verstehen ist oder nur als ausgeweitete Schleierfahndung, ließ das Bundesinnenministerium zunächst offen. Am Mittwoch erklärte Seehofer das neue Regelwerk mit den Worten: "Wir nennen das intelligente Grenzkontrollen im Grenzraum. Das ist der Unterschied zu einer Grenzkontrolle mit Schlagbäumen." Die Maßnahme sei "unabdingbar".

27 Tage sind die verstärkten Grenzkontrollen und Fahndungsmaßnahmen nun in Kraft. Von den 178 Personen, die seither im deutschen Grenzraum aufgehalten wurden, weil sie trotz Wiedereinreisesperre einreisen wollten, seien 76 "unmittelbar zurückgewiesen" worden, sagte Bundespolizeichef Romann am Mittwoch. 26 Personen seien festgesetzt worden, um ihre Ausreise zu sichern. Zum "Beifang" zählte Romann zudem 406 "teilweise gravierende Verstöße" gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie 105 festgestellte Verstöße gegen das Waffengesetz.

Ausschließlich Erfolge habe man aber nicht zu vermelden, so Romann: "Wir sind auch mit Problemen konfrontiert." So gebe es in Deutschland 577 Abschiebehaftplätze, aber einen deutlich höheren Bedarf. Beim Großteil der Asylbewerber, die wegen einer Wiedereinreisesperre seit November zurückgewiesen wurden, handle es sich um Personen, für deren Asylverfahren ein europäisches Nachbarland zuständig sei. Nach den Dublin-Regeln ist das immer das Land, in dem ein Asylbewerber die EU zuerst betreten hat. Die Mittelmeeranrainer kämpfen deshalb gegen die Dublin-Regel, auch Seehofer hält sie für "gescheitert".

Seehofer erneuerte seine Forderung, künftig schon an den EU-Außengrenzen zu klären, ob ein Asylbewerber eine reale Chance habe, in Europa zu bleiben. Nur wenn das der Fall sei, sollten Migranten auf die EU-Staaten verteilt werden - oder direkt an der Außengrenze abgeschoben werden. Auf welcher Rechtsgrundlage dies geschehen solle, ließ Seehofer offen. Die Etablierung eines gemeinsamen europäischen Asylsystems und eines effektiven Außengrenzenschutzes werde Jahre dauern. Bis dahin müsse es bei den verstärkten Grenzkontrollen in Deutschland bleiben.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4709944
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.12.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.