Grenzkontrollen:Seehofer verlängert Grenzkontrollen zu Österreich

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Innenminister Seehofer verlängert die Kontrollen an der Grenze zu Österreich erneut um ein halbes Jahr. (Foto: dpa)
  • Innenminister Seehofer weitet die Grenzkontrollen auf Autobahnübergängen zu Österreich bis Frühjahr 2020 aus.
  • Das widerspricht eigentlich europäischem Recht, das Schengen-Abkommen lässt stationäre Kontrollen nur in Ausnahmefällen und für eine begrenzte Zeit zu.
  • Zum gegenwärtigen Stand aber sei es nicht vertretbar, auf die Kontrollen zu verzichten, sagt ein Sprecher. Deutschland ist nicht das einzige Land, das so vorgeht.

Von Thomas Hummel, München

Bei Kontrollen an der Grenze zu Österreich nahm die Bundespolizei kürzlich fünf Männer fest, nach denen gefahndet wurde. Es ging um nicht bezahlte Geldstrafen oder Schulden bei der Justiz, die Aufgegriffenen mussten zwischen 20 und 130 Tage ins Gefängnis. Es handelte sich um sogenannten Beifang, denn hauptsächlich soll sich die Bundespolizei an den Autobahnen A 93, A 8 und A 3 darum kümmern, die illegale Einreise zu verhindern. Seit dem 13. September 2015 stehen Beamte an den Grenzübergängen in der Nähe von Salzburg, Kiefersfelden und Passau, zum Höhepunkt der Flüchtlingswelle sollten die deutschen Behörden Ordnung in die Migration bringen.

Seither ist die Einwanderung nach Deutschland erheblich zurückgegangen, wozu vor allem die geopolitische Lage und weniger die deutsche Polizei beigetragen hat. Doch noch immer kontrollieren Beamte an der Grenze. Das widerspricht eigentlich europäischem Recht, das Schengen-Abkommen lässt stationäre Kontrollen nur in Ausnahmefällen und für eine begrenzte Zeit zu.

Am Mittwoch hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) die Grenzkontrollen über November hinaus für weitere sechs Monate verlängert. Weiterhin bestehe das Ziel, wieder ohne die sogenannten Binnengrenzkontrollen auszukommen, sagte ein Sprecher. Derzeit seien die Voraussetzungen dafür jedoch nicht gegeben. Zum gegenwärtigen Stand sei es aber nicht vertretbar, auf die Kontrollen zu verzichten. Nun wird wieder die Frage diskutiert: Was bringen die Kontrollen? Und wie groß ist der Schaden, den sie anrichten?

1,98 Millionen Menschen kontrolliert

Auf Anfrage der AfD gab das Bundesinnenministerium (BMI) im August bekannt, dass die Polizei an der Grenze in den fast vier Jahren bis einschließlich Juni 1,98 Millionen Menschen kontrolliert hat. Davon hat sie 35 067 die Einreise verweigert. Sie wurden entweder nach Österreich zurückgeschickt oder in Obhut genommen und etwa nach Griechenland oder Spanien überführt, wo sie bereits als Geflüchtete registriert waren. Im ersten Halbjahr 2019 setzte die Polizei zudem 254 Schleuser fest, ein Großteil von ihnen aus Serbien.

Außerdem gab das BMI eine weitere Zahl bekannt: Die Beamten konnten seit Beginn der Kontrollen 45 655 zur Fahndung ausgeschriebene Personen aufgreifen, das sind mehr als 10 000 pro Jahr. Auf den ersten Blick überrascht diese Menge, weil die Gesuchten ja wissen könnten, dass an den Autobahn-Übergängen kontrolliert wird und ihnen als Ausweichstrecke die Landstraße zur Verfügung steht. Experten aber beschwichtigen. Insgesamt gab die Bundespolizei 2018 mehr als 140 000 Fahndungserfolge bekannt, und nirgendwo ist sie so präsent wie an den Grenzposten.

Dazu waren weit mehr als die Hälfte der Delikte sogenannte Aufenthaltsermittlungen. Das betrifft Leute, die zum Beispiel einen Strafzettel ignorieren und anschließend für die Behörden nicht auffindbar sind. Oder die als Zeugen in einem Strafverfahren geladen sind. Die meisten Betroffenen kamen aus osteuropäischen Ländern, aus Rumänien, Bulgarien, Serbien, Albanien oder Ungarn.

Die Wirtschaft klagt über längere Frachtzeiten, die Grenzregionen leiden unter stockendem Verkehr

Für Jörg Radek, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, bedeuten die Zahlen, dass der Migrationsdruck auf die südlichen Bundesgrenzen immer noch hoch sei. Allerdings ist er gegen eine Fortführung der stationären Kontrollen. "Sie erfordern sehr viel Personal und machen die Polizei berechenbar", erklärt Radek. Besser funktioniere aus seiner Sicht eine Mischung aus Schleierfahndung plus kurzfristigen, überraschenden Grenzkontrollen, wenn es die Lage erfordere. Das sei auch mit EU-Recht vereinbar.

Raphael Bossong von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin fragt sich schon länger, wann gegen die Grenzkontrollen geklagt wird. Durch die Flüchtlingskrise seien die Kontrollen zwei Jahre lang vom Schengen-Kodex gedeckt gewesen, seit November 2017 aber nicht mehr. "Es ist höchst zweifelhaft, was da gemacht wird", urteilt er.

Zuletzt hat die liberale Neos-Partei in Österreich Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt mit der Begründung, die Kontrollen seien ein "teurer und wirkungsloser Angriff auf die Grundfreiheiten der Bürgerinnen und Bürger". Die Wirtschaft klagt über längere Frachtzeiten, die Tourismusbranche fürchtet, dass ihre Gäste im Stau stehen. Die Grenzregionen leiden unter dem stockenden Verkehr. Gerade die süd- und südosteuropäischen Länder wie Italien, Spanien, Slowenien oder Ungarn haben großes Interesse an offenen Grenzen, Rumänien, Bulgarien und Kroatien wollen dem Schengen-Klub beitreten.

Doch außer Deutschland führen auch Österreich (an den Grenzen zu Slowenien und Ungarn), Frankreich, Dänemark, Schweden und Norwegen Kontrollen an ihren Grenzen durch. Sie alle rechtfertigen sich mit Gründen der inneren Sicherheit. Drohungen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, den Flüchtlingsdeal mit der EU zu kündigen und "die Tore zu öffnen", sollte nicht mehr Geld fließen, dürfte die Befürworter der Grenzkontrollen bestätigen. Die sogenannte Balkanroute, auf der Flüchtlinge von Griechenland nach Mitteleuropa kommen, wird weiterhin frequentiert, wenngleich auf wesentlich niedrigerem Niveau als etwa 2015.

© SZ vom 26.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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