Süddeutsche Zeitung

Coronavirus:Nachbarländer sind verärgert über deutsche Grenzkontrollen

Ein Sprecher der EU-Kommission erneuert seine Kritik an den Reisebeschränkungen. Auch Frankreich zeigt sich irritiert. An der deutsch-tschechischen Grenze bilden sich Staus.

Von Constanze von Bullion, Berlin, und Thomas Fromm

Die Einführung deutscher Grenzkontrollen wird in der EU scharf kritisiert. "Die Maßnahmen haben ganz schwerwiegende Auswirkungen auf ganz Österreich und stehen daher in einem klaren Widerspruch zu den lessons learned aus dem letzten Frühjahr", sagte Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg am Montag. Die EU-Kommission bekräftigte ihr Missfallen mit dem deutschen Vorgehen. Auch Frankreich zeigte sich irritiert. "Das ist eine harte Entscheidung", sagte Europa-Staatssekretär Clément Beaune. Zunächst wollte er mit benachbarten deutschen Bundesländern sprechen, damit es keine "bösen Überraschungen" gebe. In Berlin schloss der Sprecher der Bundesregierung auf Anfrage nicht aus, dass auch Einreisen aus Frankreich eingeschränkt werden könnten.

Um den Eintrag von Corona-Mutationen nach Deutschland zu bremsen, hatte Innenminister Horst Seehofer (CSU) die Einreise aus Tschechien, der Slowakei und Teilen Tirols untersagt. Ausnahmen gelten etwa für Pflegepersonal und in Notfällen. An einer Regelung für Berufspendler aus systemrelevanten Branchen wird noch gearbeitet. Ohne negativen Test und digitale Anmeldung ist die Einreise aus diesen Gebieten vorerst nicht möglich.

Allein bis Montagmorgen kontrollierte die Bundespolizei etwa 10 000 Personen und verweigerte jeder zweiten die Einreise, teilte das Bundesinnenministerium mit. An der deutsch-tschechischen Grenze bildeten sich Staus - zeitweilig mehr als 20 Kilometer lang. Am Grenzübergang nach Tirol blieb es dagegen zunächst ruhig.

Das Ministerium nennt die Kontrollen einen "absoluten Ausnahmefall"

"Der Bundesinnenminister hält Grenzkontrollen im Herzen Europas für einen absoluten Ausnahmefall", sagte sein Sprecher. Auf die Frage, ob demnächst auch Einreisen aus Frankreich untersagt werden könnten, reagierte Regierungssprecher Steffen Seibert ausweichend. Grundsätzlich seien sich alle einig, dass verschärfte Kontrollen "nicht der Normalzustand" und wegen der Bedrohungslage "als Ultima Ratio zu verstehen" seien.

Frankreichs Regierung hatte kürzlich mitgeteilt, im ostfranzösischen Département Moselle seien relativ viele Virus-Varianten entdeckt worden. Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) schloss am Montag in einer Regierungserklärung Grenzkontrollen nicht aus. Nicht abgesprochene Maßnahmen wie 2020 wolle er aber vermeiden.

Aus der deutschen Wirtschaft kommt ebenfalls Kritik. Der Industrieverband BDI warnt vor schwerwiegenden Folgen der Grenzschließungen. "Die Gefahr ist groß, dass in den nächsten Tagen überall in Europa Lieferketten abreißen", sagt Hauptgeschäftsführer Joachim Lang den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Grenzübergänge sollten weiterhin für alle Frachtfahrzeuge mit Gütern offen bleiben", fordert er. Dafür müssten "praxistaugliche Testmöglichkeiten in ganz Europa" bereitgestellt werden. Es nutze nichts, "negative Tests bei Einreise von im Transportwesen und Güterverkehr tätigen Personal zu verlangen, ohne für ausreichende Testinfrastrukturen an den Grenzen zu sorgen".

Anders als befürchtet meldeten die Autohersteller Audi, BMW und Volkswagen am Montag keine größeren Probleme wegen der Grenzkontrollen. Alle Werke produzierten planmäßig, hieß es bei BMW. Allerdings könnte dies nur eine Momentaufnahme sein. Ein VW-Sprecher meldete "keine Einschränkungen". Der Verband der Automobilindustrie (VDA) hatte am Sonntag vor sofortigen Werksschließungen wegen Lieferengpässen gewarnt.

Obwohl das zunächst nicht der Fall war, gab der VDA keine Entwarnung. Die Lage an den Grenzen sei "bereits jetzt sehr schwierig", teilte der Verband mit. "Die notwendigen Kontrollen haben Auswirkungen auf die Transportlogistik vieler Betriebe in ganz Deutschland." Der VDA forderte, auf ärztlich zertifizierte Tests zu verzichten und Lkw-Fahrern Selbstschnelltests zu erlauben.

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