PolenWas der neue Grenzstreit für Deutschland bedeutet

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Deutsche Grenzkontrollen an der polnischen Grenze in Küstrin-Kietz (Archivbild). Ab Montag soll nun auch in der Gegenrichtung kontrolliert werden.
Deutsche Grenzkontrollen an der polnischen Grenze in Küstrin-Kietz (Archivbild). Ab Montag soll nun auch in der Gegenrichtung kontrolliert werden. (Foto: Patrick Pleul/picture alliance/dpa)

Sorge um Staus auf deutscher Seite und Flüchtlingscamps im Niemandsland: Ab Montag führt nun auch Polen verstärkte Grenzkontrollen ein. Warum Warschau so entscheidet und wie das die deutsche Politik beeinflussen könnte.

Von Markus Balser und Viktoria Großmann, Berlin, Warschau

Als erstes Nachbarland reagiert Polen mit einer Retourkutsche auf die deutlich verschärften deutschen Grenzkontrollen und will seinerseits Kontrollen zu Deutschland einführen. Drohen nun ausgerechnet zu Ferienzeiten lange Staus und könnten sich Flüchtlingscamps im Niemandsland bilden? Rudern Kanzler Friedrich Merz und Innenminister Alexander Dobrindt daraufhin zurück? Die Süddeutsche Zeitung beantwortet die wichtigsten Fragen zum Grenzkonflikt.

Warum verschärft Polen gerade jetzt die Kontrollen?

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk erklärte, er habe Deutschland oft genug gewarnt, dass er ebenfalls Kontrollen einführen werde. Die Maßnahmen müssten „symmetrisch“ sein, sagte er. Was genau sich Tusk für sein Land von den Kontrollen verspricht, lässt er allerdings offen. Denn die Flüchtlingsbewegung geht nun mal Richtung Westen. Polen kontrolliert von Montag an aber auch die Grenze zu Litauen, wo wiederum Kontrollen an der lettischen Grenze angekündigt werden. Auch Tschechien hatte früher schon in Reaktion auf die deutschen Kontrollen, zeitweise die Grenze zur Slowakei kontrolliert und diese wiederum zu Ungarn.

Tusk hat allerdings auch starke innenpolitische Gründe. Seit einigen Wochen patrouillieren an der polnisch-deutschen Grenze selbsternannte Bürgerwehren. Einberufen werden sie von der „Bewegung Grenzschutz“ des rechtsradikalen Politikers Robert Bąkiewicz. Dieser verbreitet die Verschwörungserzählung, Deutschland wolle Polen mit straffälligen Asylsuchenden „überfluten“. Die rechtsnationalistische PiS-Partei und der im Juni zum neuen Präsidenten gewählte Karol Nawrocki unterstützen diese Bewegung. Die Umfragewerte von Tusks Partei sinken, dafür wächst die Zustimmung zu rechtsextremen Parteien.

In den Sommermonaten kommen regelmäßig etwas mehr Migranten an der Grenze zu Belarus an. Tusk aber betonte, dass Polen diese Grenze zu „98 Prozent“ dicht halte – anders als Litauen und Lettland, fügte er hinzu. Laut Angaben der polnischen Regierung stellten 2024 etwa 17 000 Menschen einen Asylantrag in Polen, davon kamen 12 000 aus Belarus, Russland und der Ukraine.

Deutschlands Innenminister Alexander Dobrindt warnte am Dienstag in Berlin auch vor Signalen, die auf eine immer aktivere Flüchtlingsroute von Belarus über Litauen und Polen nach Westeuropa hindeuten. Damit könnte Russland verstärkt wieder Flüchtlinge als politisches Mittel einsetzen und auch in Polen gezielt Debatten schüren.

Welche Folgen haben die Kontrollen praktisch an der deutsch-polnischen Grenze?

Vor allem für Geflüchtete wird die Lage schwieriger. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) befürchtet an der Grenze ein „Pingpong-Spiel“, bei dem Deutschland künftig Menschen zurückweise und polnische Grenzschützer diese dann nicht annehmen würden. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt wies diese Sorgen um Flüchtlingslager im Niemandsland zurück. Ein solches „Pingpong-Spiel“ werde es nicht geben.

Grenzkontrollen auf polnischer Seite können aber in jedem Fall mit ihrer Einführung ab Montag zu Staus auch in Deutschland führen. So wie sie wegen der Kontrollen auf deutscher Seite zuletzt schon in Polen entstanden sind, vor allem an Autobahn-Grenzübergängen.  Besonders für die vielen Pendler in den Grenzregionen hätte das massive Folgen.

Wie ist die derzeitige Lage an den deutschen Außengrenzen?

Die Zahl der Geflüchteten an den deutschen Außengrenzen nimmt im Jahresvergleich deutlich ab. Im ersten Halbjahr registrierten Grenzpolizisten noch 30 600 illegale Einreisen. Im Vorjahr waren es im gleichen Zeitraum 42 400, 2023 sogar noch etwa 45 000. Die Behörden gehen davon aus, dass die sinkenden Zahlen Folge der bereits im vergangenen Jahr eingeführten und in diesem Jahr verschärften Grenzkontrollen sind. Seit Beginn der verschärften Kontrollen am 8. Mai hat die Bundespolizei an den deutschen Landgrenzen 8000 unerlaubte Einreisen festgestellt und 6200 Menschen unmittelbar zurückgewiesen. Darunter waren auch 285 Menschen, die ein Asylbegehren geäußert haben.

(Foto: SZ-Grafik)

Dass auch Asylfälle zurückgewiesen werden, ist neu und hatte in Deutschland, aber auch bei den europäischen Nachbarn massive Diskussionen ausgelöst. In mehreren Fällen erklärte das Berliner Verwaltungsgericht diese Praxis zuletzt für illegal. Innenminister Dobrindt will dennoch an ihr festhalten. Aus Sicht der Bundespolizei haben die verstärkten Grenzkontrollen auch einen starken Kontrolleffekt: Als „Beifang“ seien 1500 offene Haftbefehle vollstreckt worden, teilt das Präsidium in Potsdam mit.

Wie sehen andere Nachbarn die Grenzkontrollen? 

Nicht nur in Polen, auch in anderen Ländern wächst der Ärger über die deutschen Kontrollen. Luxemburgs Regierungschefs Luc Frieden sprach sich am Dienstag bei einem Besuch in Berlin stattdessen für eine verstärkte Polizei-Kooperation aus, um die Kontrollen zu vermindern oder abzuschaffen. „Wir stehen zum Prinzip, dass illegale Immigration nicht tolerierbar ist“, sagte er. Aber die wirtschaftliche Zusammenarbeit an den Binnengrenzen der EU dürfe nicht gestört werden. Auch der tschechische Innenminister Vít Rakušan hatte eine baldige Rückkehr zu den Schengen-Grundsätzen der Reisefreiheit ohne Binnengrenzkontrollen gefordert. Österreich kritisierte ebenfalls Asylzurückweisungen im Vorfeld als Bruch europäischen Rechts.

Welche Folgen hat der Grenzstreit für die Regierungskoalition?

Die Kritik der Nachbarn und die harten Reaktionen auf das deutsche Vorgehen legen auch die Konflikte in der schwarz-roten Koalition wieder frei. Denn die SPD hatte dem Vorhaben der Union nur unter der im Koalitionsvertrag festgehaltenen Bedingung zugestimmt, die verschärften Grenzkontrollen müssten „in Abstimmung“ mit den Nachbarländern erfolgen. Die Kritik an der deutschen Praxis macht jedoch klar, dass die Nachbarn nicht einverstanden sind. Kanzler und Innenminister bekommen deshalb stärkeren Gegenwind aus den eigenen Reihen. „Die enge Absprache mit den europäischen Nachbarn ist Merz und Dobrindt bisher mäßig gelungen“, sagte Adis Ahmetović, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, dem Spiegel. „Die Reaktion Polens zeigt jetzt, wovor wir seit Jahren warnen: Gerade in sensiblen Fragen der Sicherheit und Migration braucht es enge Zusammenarbeit.“

Rückt die Regierung nun von ihrem harten Kurs ab?

Erste Anzeichen dafür gibt es. Denn Deutschland bemüht sich offenbar bereits darum, den Streit wieder einzufangen. Innenminister Dobrindt erklärte inzwischen, er habe Polen jetzt gemeinsame Kontrollen auf deutschem Boden angeboten. In den nächsten Tagen solle es weitere Gespräche mit der polnischen Regierung geben. Zuvor hatte schon Kanzler Merz signalisiert, auch mit Luxemburg gemeinsame „Kontrollen im Hinterland“ der jeweiligen Grenzen auszuloten. Dieser Schritt könnte verhindern, dass Deutschlands Nachbarn juristisch – etwa mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof – gegen Deutschland vorgehen. Juristen halten es durchaus für möglich, dass Deutschland dabei eine Niederlage erleiden könnte. Denn die Bundesregierung beruft sich bei ihrem Vorgehen auf eine Notfallklausel der EU zur Erhaltung der öffentlichen Ordnung. Die ist allerdings angesichts der sinkenden Migrationszahlen nach allgemeiner Lesart gar nicht gefährdet.

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