Süddeutsche Zeitung

Grenze zu Serbien:Ungarns Polizei setzt Wasserwerfer und Tränengas ein

Lesezeit: 3 min

Gewalttätige Auseinandersetzungen mit Flüchtlingen

Die ungarische Polizei hat an der serbischen Grenze bei Röszke Tränengas und Wasserwerfer gegen mehrere hundert aufgebrachte Flüchtlinge eingesetzt, während diese ein Grenztor durchbrachen. Das berichteten Ungarns Medien übereinstimmend.

Vorher hatten die Flüchtlinge von der serbischen Seite her die Polizisten mit Steinen, Flaschen und Stöcken beworfen und ein Grenztor niedergerissen, 14 Beamte seien nach offiziellen Angaben verletzt worden. Dabei riefen sie "Öffnen, öffnen" und "Freiheit, Freiheit". Die Polizei habe ihr Aufgebot verstärkt, hieß es. Sie ergreife "angemessene Maßnahmen, um die ungarische Staatsgrenze und die äußere Grenze der Europäischen Union zu schützen".

Zwei Menschen schwer verletzt

Auch die Nachrichtenagentur Reuters berichtet unter Berufung auf einen Reporter und einen UN-Vertreter vom Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern. Ein AFP-Reporter berichtet von Kindern, die vor Schmerzen weinten. Tränengas verursacht Atemprobleme und Augenreizungen. Zwei Menschen wurden bei den Ausschreitungen schwer verletzt, 200 bis 300 weitere Flüchtlinge hätten sich medizinisch behandeln lassen müssen.

Inzwischen hat sich die Lage wieder beruhigt. Die Flüchtlinge, die ungarische Polizisten angegriffen hatten, wurden am Abend auf Initiative der serbischen Behörden in Bussen abgeholt und in die grenznahe serbische Stadt Kanjiža gebracht, sagten Augenzeugen der Deutschen Presse-Agentur. Am Abend fuhren drei ungarische Militärjeeps mit aufgepflanzten Gewehren an dem Grenzübergang auf und bezogen Position in etwa 100 Metern Entfernung.

Orbán kündigt neuen Zaun an

Ministerpräsident Viktor Orbán kündigte unterdessen an, auch "an bestimmten Stellen" der Grenze zu Kroatien einen Zaun zu bauen. "Es gibt bereits Pläne dafür", sagte er der Wiener Zeitung Die Presse. Den Bau eines Zauns an der Grenze zu Rumänien hatte Ungarn bereits vorher angekündigt.

Bereits zuvor war ein irakischer Flüchtling von einem Schnellgericht wegen eines illegalen Grenzübertritts für ein Jahr des Landes verwiesen worden. "Dies ist eine Botschaft an andere, an mögliche Täter, dass sie nicht dieses Verbrechen begehen sollten", sagt der Richter.

Die serbische Regierung verurteilte den Einsatz von Tränengas auf ihrem Territorium. Serbiens Ministerpräisent Aleksandar Vučić wirft dem Nachbarland Ungarn "brutales" und "nicht-europäisches" Vorgehen gegen die Flüchtlinge an der gemeinsamen Grenze vor. Er forderte die Europäische Union (EU) auf, darauf zu reagieren. "Sollte die EU keine Antwort geben, werden wir einen Weg finden, unsere Grenzen und auch die europäischen Werte zu beschützen", drohte Vučić.

Innenminister Nebojša Stefanović kündigte die Entsendung zusätzlicher serbischer Polizisten an den Grenzübergang an, um weitere Zusammenstöße zwischen Flüchtlingen und der ungarischen Polizei zu vermeiden. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nannte den ungarischen Umgang mit Flüchtlingen "schockierend" und "nicht hinnehmbar".

Neue Route führt nach Kroatien

Nach Schließung der ungarischen Grenze sind am Mittwoch fast 1200 Flüchtlinge in Kroatien angekommen. Unter den Ankömmlingen seien 189 Frauen und 184 Kinder gewesen. Der kroatische Regierungschef Zoran Milanović kündigte an, dass die Menschen sein Land passieren dürften. Sollte es notwendig werden, werde in Absprache mit Slowenien ein Korridor in Richtung Österreich eingerichtet, erklärte der kroatische Innenminister Ranko Ostojic. Seine slowenische Kollegin Vesna Györkös Žnidar hingegen dementierte umgehend, da die unkontrollierte Weiterleitung von Flüchtlingen gegen EU-Recht verstoße.

Die Strecke über Kroatien ist nicht ungefährlich. Im Gebiet der grünen Grenze liegen noch Tausende Landminen verstreut, übrig geblieben aus Kroatiens Unabhängigkeitskrieg der frühen Neunziger Jahre. Hilfsorganisationen haben Karten veröffentlicht, auf denen besonders gefährliche Gebiete verzeichnet sind. Reuters zufolge schickte die Regierung Minenräumer an die serbische Grenze.

Frankreich erwägt ebenfalls Grenzkontrollen

Auch Frankreich hat mit einer vorübergehenden Wiedereinführung von Grenzkontrollen gedroht. An der Grenze zu Italien habe Frankreich bereits im Frühjahr zwischenzeitlich kontroliert, sagte Premierminister Manuel Valls in Paris. "Wir werden nicht zögern, es wieder zu tun, wie die Schengen-Regeln es erlauben - jedes Mal, wenn die Umstände es erfordern." Dies könne bereits "in den kommenden Tagen oder Wochen" geschehen, sagte der Sozialist. Die französischen Polizeikräfte - insbesondere die Grenzpolizei - sollen demnach um 900 Beamte aufgestockt werden.

Keine Züge nach Deutschland

Die Zahl der Flüchtlinge, die von Österreich nach Deutschland kommen, wächst wieder. Allein die Bundespolizei Rosenheim zählte am Mittwoch bis zum frühen Mittag 1300 Menschen. Am Dienstag waren es den ganzen Tag über etwa 3500, am Montag etwa 1200. Die meisten Flüchtlinge wurden zu einer Sammelstelle im Grenzort Freilassing gebracht, um mit Sonderzügen an Aufnahmestellen im Bundesgebiet verteilt zu werden. Etwa 22 000 Menschen, die in den vergangenen Tagen aus Ungarn nach Österreich gekommen waren, befinden sich noch im Land.

Die Situation am Salzburger Hauptbahnhof sei angespannt, hieß es von den Behörden. Derzeit hielten sich dort etwa 2000 Flüchtlinge auf. Die Menschen hofften auf Züge in Richtung Deutschland. Am Abend zuvor war es am Salzburger Bahnhof zu Tumulten gekommen.

Der Zugverkehr von Salzburg nach Deutschland ist erneut gestoppt. Das teilten die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) unter Berufung auf eine Anweisung deutscher Behörden mit. Einige Flüchtlinge gingen zu Fuß an die deutsch-österreichische Grenze, zum Beispiel bei Freilassing. Salzburg und Freilassing liegen nur wenige Kilometer voneinander entfernt.

Österreich wollte noch am Mittwoch Kontrollen an seiner Grenze zu Slowenien beginnen, wie Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ankündigte.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2651286
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/dpa/dayk/fued/anri/mane
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.