Süddeutsche Zeitung

Gregor Gysis Standpauke:Der große Integrator

Die Ossis, Wessis, Spinner und Angepassten in der Linken sollen aufhören, sich zu bekriegen, fordert Linken-Fraktionschef Gregor Gysi von seinen Genossen. Sie sollen stattdessen rausgehen und die Welt verändern.

Sarina Märschel, Cottbus

Gregor Gysi hebt abwechselnd die rechte und linke Hand. Er erklärt seiner Partei die Gesetze der Schwerkraft: Wenn die Mitglieder aus dem Westen mehr werden, nimmt die Bedeutung der Ossis in der Partei automatisch ab, sagt er. "Das ist das Problemchen."

Das "Problemchen" der Linken stellt sich aus der Sicht von Gysi so da: Seit ihrer Gründung im vergangenen Jahr wird die Partei von Grabenkämpfen zwischen ehemaligen WASG-Mitgliedern und PDS-Anhängern, zwischen Realisten und Idealisten, zwischen Lafontaine-Gegnern und -Befürwortern geschwächt.

Schubladendenken gehört ins vergangene Jahrhundert, findet der Linken-Fraktionschef im Bundestag. Nur: Die Parteimitglieder scheinen da anderer Ansicht zu sein. Und so nutzt Gysi die Abschlussrede auf dem Linken-Parteitag in Cottbus dazu, den Delegierten eine saftige Standpauke zu halten. Seine Botschaft: Vertragt euch.

Das Problem heißt Oskar Lafontaine

Die Demarkationslinie verläuft am deutlichsten zwischen Ost und West: Die Mitglieder aus den alten Bundesländern jammerten über die Angepasstheit der ehemaligen PDS-Mitglieder, sagt Gysi und verzieht dabei das Gesicht, als wolle er gleich mitjammern.

Die Ossis wiederum, referiert Gysi, beklagten sich über "Spinner und Sektierer" im Westen. Für ihn ist klar: "Man will, dass die anderen so werden wie man selbst." Und dann schüttelt er seine Hände in der Luft, als wolle er die Uneinsichtigen am Kragen packen: "So kriegt man eine Vereinigung aber niemals zustande!"

Ein Problem für viele Ossis hat einen bekannten Namen: Oskar Lafontaine. Mit dessen autokratischem Führungsverständnis kommen sie nicht klar. Weil sie doch praktisch gerade erst lernen, dass Demokratie doch einiges an Mitbestimmung zu bieten hat, sagt Gysi.

Gysi nimmt Lafontaine in Schutz. Der Oskar sei eben nicht so "demokratieempfindlich" wie die Mitglieder aus dem Osten. Die würden stets darauf achten, dass alle gefragt werden.

Aber deshalb dürfe man sich den Oskar von anderen Parteien doch nicht ausreden lassen. "Wir verdanken ihm Erfolge, den wir ohne ihn nie gehabt hätten", ruft er. Und bekommt dafür einigen Applaus. Die anderen könnten doch froh sein, einen zu haben wie Lafontaine. "Die sind doch nur neidisch! Wir sind doch nicht bescheuert, ich bitte euch!"

Für oder gegen Lafontaine zu sein heißt aber auch: für oder gegen Regierungsbeteiligung zu sein. Das ist die Gretchenfrage der Linken. Lafontaine setzt auf Kompromisslosigkeit in der Sache - und damit auf Opposition.

Gysi beugt sich nach vorne, nimmt die Arme über den Kopf, spreizt die Finger und lässt sie einer Kräuterhexe gleich in der Luft tanzen. "Regierung oder nicht Regierung?", krächzt er. "Ist das die Falle des großen Verrats?"

Langeweile auf der Oppositionsbank

Nein, findet Gysi. Die Linke solle bereit sein, Regierungsverantwortung zu übernehmen und sie solle Antworten bieten auf die Fragen des 21. Jahrhunderts. In der Opposition könne man rein und edel bleiben - "aber wir gehen doch nicht zur Selbstbefriedigung in eine Partei", sagt Genosse Gregor, sondern um die Welt zu verändern.

Außerdem: Im Osten säßen viele Linke schon seit 18 Jahren auf der Oppositionsbank. Gysi beugt sich vor: "Denen ist dann auch mal langweilig", sagt er und grinst.

Weil Gregor Gysi aber offenbar noch Zweifel hat, dass sein Traum von der Linken-Familie in absehbarer Zukunft Realität wird, erinnert er die Parteimitglieder sicherheitshalber noch einmal an die neue goldene Regel im Linken-Kosmos: "Wir wollen uns nicht selbst bekriegen." Und setzt noch einen Nachsatz für die ganz Verbohrten dazu: "Es geht nicht um Leben oder Tod."

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