Gregor Gysi:Wie er wurde, was er ist

Kein deutscher Politiker ist so heftig und so erfolglos attackiert worden wie Gregor Gysi. Doch in der aktuellen Affäre wird es wohl eng für ihn.

Heribert Prantl

Gregor Gysi ist, das sagen auch seine Gegner, ein bemerkenswerter Mensch. Er ist gewandt und gebildet, er hat Esprit und rhetorisches Feuer. Seine Familie gehörte zur Hautevolee der DDR, die Gysis waren dort fast so etwas wie die Weizsäckers im Westen. Neben dem sozialistischen Kleinbürger Oskar Lafontaine steht Gregor Gysi als der sozialistische Großbürger. Wer ihn erlebt, erlebt einen Menschen, den man in früheren Zeiten "wohlgerathen" genannt hätte.

Gregor Gysi: Gysi ist einer der wenigen, die es aus der DDR in die Bundesrepublik geschafft haben, die also schon damals prominent waren und nach 1989 prominent geblieben sind.

Gysi ist einer der wenigen, die es aus der DDR in die Bundesrepublik geschafft haben, die also schon damals prominent waren und nach 1989 prominent geblieben sind.

(Foto: Foto: ddp)

Woran erkennt man die "Wohlgerathenheit'"?, hat Friedrich Nietzsche gefragt und wie folgt geantwortet: Dass so ein Mensch "unsern Sinnen wohlthut". Wäre es nicht so, dann wäre Gysi nicht seit bald zwanzig Jahren Star der Fernseh-Talkshows. Die wohlgeratenen Menschen sind, erklärt Nietzsche, "aus einem Holz geschnitzt, das hart, zart und wohlriechend zugleich ist".

Der Philosoph hat sich da selbst beschreiben wollen, aber man geht nicht fehl, wenn man diese Beschreibung auf Gysi anwendet (sie stammt aus "Ecce Homo", Untertitel "Wie man wird, was man ist"). So einem Menschen, heißt es da, "schmeckt nur, was ihm zuträglich ist, er nützt schlimme Zufälle zu seinem Vortheil aus"; so einer finde immer "Heilmittel gegen Schädigungen". Und aus dieser Analyse zieht Nietzsche den berühmten Schluss: "Was ihn nicht umbringt, macht ihn stärker."

Mit diesen Sätzen sind Gregor Gysis Jahre seit 1990 gut umrissen: Kein anderer wurde so lang, so heftig und so erfolglos attackiert, kein anderer wurde so oft überprüft, keiner hat so viele Rücktrittsforderungen überstanden: Gysi ist einer der wenigen, die es aus der DDR in die Bundesrepublik geschafft haben, die also schon damals prominent waren und nach 1989 prominent geblieben sind, nun schon fast zwanzig Jahre lang; nicht wenigen gilt er als die Inkarnation des Ostens - trotz der Kaskaden von Vorwürfen: Er sei ein Stasi-Spitzel gewesen, ein "IM" also, ein "Inoffizieller Mitarbeiter des DDR-Staatssicherheitsdienstes", er habe seine Mandanten verraten, die Regimekritiker Rudolf Bahro und Robert Havemann zuvorderst. Die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, die selbst einmal seine Mandantin war, nannte ihn alsbald nach der Wende einen Stasi-Zuträger.

Gregor Gysi: Er war in der DDR ein gefragter Anwalt, zuletzt, seit Mai 1988, Vorsitzender des Kollegiums der Rechtsanwälte in der DDR, Strafverteidiger vieler Oppositioneller; er ist ein kluger Jurist, der einst von einem sozialistischen Rechtsstaat geträumt hat und in einem solchen Staat wohl gern Justizminister geworden wäre. Dieser Mann hat bisher alle Stasi-Vorwürfe, unter Aufbietung seiner rhetorischen und aller nur erdenklichen juristischen Mittel und mit stoischem Leugnen gekontert; er hat politisch überlebt, obwohl die Kritik immer schärfer geworden ist. Soeben ist sie wieder besonders scharf: Es sei, so erklärte es einer der Gysi-Spezialisten aus der Stasi-Unterlagenbehörde, die ,,Würze'' zu den bisherigen Vorwürfen gefunden worden - Stasi-Vermerke über vertrauliche Gespräche mit Gysi.

"Da passt Steinchen an Steinchen"

Was ist Würze und was ist Substanz? In einer ersten Stellungnahme, welche die Behörde über Gysi erstattete, war ihm nichts nachzuweisen. Das war 1991. Es fehlte, damals wie heute, die entscheidende Akte der ,,operativen Personenkontrolle'', die Haupakte also, und es fehlte, damals wie heute, eine Karteikarte Gysi, die eine formelle Verpflichtung des Anwalts für die Stasi registriert. Nützt Gysi also, wie Nietzsche das formulierte, "schlimme Zufälle zu seinem Vortheil" aus?

Warum gibt es keine Hauptakte, keine Karteikarte? Entweder ist sie 1989 vernichtet worden - oder es hat diese nie gegeben. Entlastet es Gysi, wenn es sie wirklich nicht gegeben hätte? Nein, sagen Gysis Kritiker, weil die Stasi "so einen" wie ihn eben nicht so wie einen normalen IM behandelt habe. Diese Argumentationsmuster drehen sich seit Jahren im Kreis. Gysis Einlassungen auch. Er behauptet stoisch, er habe sich nie dem Ministerium für Staatssicherheit verpflichtet, nie mit der Stasi kooperiert und ihr nie Informationen über seine Mandanten geliefert.

Aber: Die Beweislage hat sich doch sehr geändert seit 1991. Aus den Jahren 1995 und 1998 datieren Gutachten der Stasi-Unterlagenbehörde, die Gysi belasten. Die Analysen der Behörde laufen darauf hinaus, dass Gysi zwar formal kein IM gewesen sei, er aber "wie" ein solcher gearbeitet habe; und dafür findet die Behörde nach ihren Angaben immer neue Belege. Sie stammten aus den Akten Dritter, aus den Akten über die DDR-Mandanten Gysis. Die Causa Gysi müsse man sich, so sagte es ein Sachbearbeiter der Behörde im Gespräch mit der SZ, wie ein großes Mosaik vorstellen: "Da passt Steinchen an Steinchen". Das Mosaik ergebe für die Behörde seit zehn Jahren ein Bild, das Gysi "wie einen IM" aussehen lässt. Dieses Bild sei durch neue Funde immer deutlicher geworden.

Wie er wurde, was er ist

Gysi streitet gleichwohl ab - jede geheimdienstliche Kooperation mit der Stasi; er sei selbst beobachtet worden, sagt er, selbst also Opfer gewesen; er habe nie inoffiziell an die Stasi Informationen geliefert. Manfred Stolpe, der frühere SPD-Ministerpräsident von Brandenburg und vormalige Spitzenvertreter der evangelischen Kirche in der DDR, hatte sich gegen den Vorwurf inniger Stasi-Kontakte anders verteidigt: Natürlich habe er sich x-mal mit Stasi-Leuten getroffen, auch mit ihnen Pudding gegessen - aber immer im Interesse der Christen, für die er sich eingesetzt habe. Gysi dagegen will nie mit der Stasi verhandelt haben. Für ihn war der Stasi-Mann nur der Staatsanwalt, mit dem er kraft Amtes habe reden müssen - und nur als Staatsanwalt habe er ihn gekannt.

Was ihn nicht umwirft, macht ihn nur stärker. Ist Gysi wirklich stärker geworden? Er ist zwar Co-Vorsitzender einer Partei, die immer größer wird. Bei Gysi aber passen die Teile des Mosaiks, das eine bedenklich changierende Anwaltstätigkeit zeigt, immer besser zusammen. Soll darüber der Mantel der Geschichte gebreitet werden? Soll die Besichtigung des DDR-Zeitalters abgeschlossen, sollen die Vorwürfe weggepackt werden - kann so etwas wie Verjährung eintreten?

Dafür könnte im Allgemeinen einiges sprechen, zumal so manche angebliche Stasi-Entlarvung in den neunziger Jahren hysterischen Charakter hatte: Da wurde den Leuten tagtäglich die Maske vom Gesicht gerissen und tagtäglich drastischer beschrieben, was man dahinter angeblich erblickte: Am Montag den verdächtigen Biedermann, am Dienstag den Lügner, am Mittwoch den Hasardeur, am Donnerstag den eiskalten Spieler. Die Zeiten sind ruhiger geworden. Für Gysi werden sie nicht ruhiger, weil er sich nie wirklich umfassend erklärt hat.

Im Bundestag stand er am Mittwoch nicht als starker Verteidiger seiner selbst. Er schilderte seine Verdienste als Anwalt von Dissidenten - Verdienste, die es tatsächlich gibt. An den dunklen Mosaiksteinen schlich er vorbei. Das macht ihn nicht stärker, sondern schwächer.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: