Süddeutsche Zeitung

Gregor Gysi in der Ukraine:Betonmischer gesucht

Wie der Linken-Politiker Gregor Gysi einem ukrainischen Bürgermeister helfen wollte - und das gar nicht so leicht war. Was auch an ihm gelegen haben könnte.

Von Boris Herrmann, Berlin

Man darf dem Abgeordneten Gregor Gysi von den Linken abnehmen, dass er eine Ahnung davon hat, was die Menschen in der ukrainischen Stadt Wyschhorod am dringendsten brauchen. Im Mai ist Gysi nämlich dorthin gereist und hat den Bürgermeister gefragt.

Bei seinem Ortsbesuch erfuhr Gysi (laut Gysi), dass es in Wyschhorod vor allem an Fahrzeugen und Gerätschaften für den Wiederaufbau mangelt. Die Stadt brauche dringend Traktoren, Betonmischer, Busse und andere Baumaschinen, habe Bürgermeister Oleksij Momot gesagt. Gysi versprach, sein Bestes zu tun. Aber das hat bislang offenbar nicht ausgereicht.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat einen "Marshall-Plan" für die Ukraine angekündigt, und 40 Staaten bekannten sich in der Luganer Erklärung dazu, das Land beim Wiederaufbau zu unterstützen. Aber die großen Pläne sind das eine, die ganz konkrete Politik etwas anderes, wie Gysi gerade feststellt. Herr Momot in Wyschhorod braucht Betonmischer. Kann das denn so schwer sein?

Nach seiner Rückkehr aus der Ukraine schickte Gysi einen Brief an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), in dem er von dem Wunsch nach Traktoren und Betonmischern berichtete. "Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie alle Möglichkeiten prüften, solche Geräte an Wyschhorod liefern zu lassen", schrieb Gysi an Habeck.

"Die Regierung hat mitgeteilt: Waffen liefern wir, der Rest fällt aus."

Knapp vier Wochen lang passierte dann erst einmal nichts. Schließlich meldet sich die parlamentarische Staatssekretärin Franziska Brantner mit einem Antwortbrief aus dem Ministerium. Sie könne das Interesse des Bürgermeisters an Baumaschinen für den Wiederaufbau vollkommen nachvollziehen, schrieb Brantner. Derartige Geräte würden nicht nur in Wyschhorod, sondern in vielen Teilen der Ukraine benötigt. "Allerdings verfügen wir im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz derzeit nicht über Mittel und Instrumente, um entsprechende Lieferungen in die Ukraine zu veranlassen bzw. zu finanzieren", heißt es in dem Schreiben, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. "Ich hoffe aber", so Brantner, "dass wir mit Blick auf künftige Programme zur Unterstützung des Wiederaufbaus in der Ukraine Ihr Anliegen zu einem späteren Zeitpunkt aufgreifen können."

Gysi ist, gelinde gesagt, empört über diese Antwort. "Die Regierung hat damit mitgeteilt: Waffen liefern wir, der Rest fällt aus", sagt er. Schwer beeindruckt hat Gysi auf seiner Reise, dass die Ukrainer nicht abwarten, bis der Krieg vorbei ist, bevor sie ihre Städte und Dörfer wiederaufbauen, sondern gleich damit anfangen. "Und dass wir das nicht unterstützen, finde ich wirklich den Gipfel", sagt Gysi.

Auf SZ-Anfrage heißt es dazu in Habecks Wirtschaftsministerium (BMWK), für das Thema sei das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zuständig. Hat Gysi also schlichtweg im falschen Ressort nachgefragt? Dann würde sich aber die Frage stellen, warum Brantner das in ihrer Antwort an Gysi nicht erwähnt hat.

Das BMZ fühlt sich jedenfalls zuständiger als das BMWK. Eine Sprecherin von Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) gibt an, aus dem Etat ihres Hauses seien von 2014 bis 2021 rund 890 Millionen Euro für die Ukraine bereitgestellt worden. Man lege grundsätzlich Wert auf den Aufbau nachhaltiger Strukturen. Im Falle des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sei die Lieferung von Ausrüstung, die Leben rette, schnell ermöglicht worden. Darunter seien Feuerwehrwagen, Rettungswagen, Busse, Sattelzugmaschinen, Atemschutzgeräte, Feuerwehrschläuche und Löschschaum. All das sei bei Rettungsarbeiten in eingestürzten Gebäuden unter anderem in Kiew, Butscha, Irpin und Borodjanka zum Einsatz gekommen. Von Wyschhorod ist keine Rede.

Kommunalpolitiker kommen manchmal weiter, muss Gysi erfahren

Dass es dem Oppositionspolitiker Gysi zu einem gewissen Grad um die Sache geht und nicht nur darum, die Regierung vorzuführen, zeigt die Tatsache, dass er auch auf anderen Wegen versucht hat, Bürgermeister Momot zu helfen. Er schrieb auch Peter Münster an, den Bürgermeister der Wyschhoroder Partnerstadt Eichenau in Bayern.

Tatsächlich hat der FDP-Politiker Münster gerade zwei Löschfahrzeuge gekauft, die demnächst nach Wyschhorod geliefert werden sollen. Vielleicht komme auch noch ein Rettungswagen dazu, sagt Münster am Telefon. Er bestreitet allerdings, dass dies etwas mit der Anfrage Gysis zu tun habe. "Ehrlich gesagt, wir waren da vorher schon dran", sagt Münster. Das habe er auch Gysi so zurückgeschrieben. "Völkerverständigung geschieht zwischen Menschen", sagt Münster, "und das ist am einfachsten zu organisieren auf kommunaler Ebene."

Und so bleibt am Ende dieser Geschichte die Erkenntnis, dass der alte Quälgeist Gregor Gysi in dem Versuch, Betonmischer auf Bundesebene zu organisieren, wohl ausnahmsweise zu große Hoffnungen in die Regierung gesetzt hat.

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