Der Autor Gregor Gysi, im Nebenberuf Linken-Politiker, könnte inzwischen wohl einige Regalmeter füllen mit Werken, die er selbst geschaffen hat. Er schrieb Bücher über den Untergang der SED und über die Zukunft der Politik, über Deutschland und die Welt sowie über Gott und die Welt, er schrieb sowohl über Karl Marx als auch über seinen Vater Klaus Gysi, vor allem immer wieder über sich selbst und sein durchaus aufregendes Leben. Und jetzt legt er also auch noch ein Buch vor über ... ja, worüber denn eigentlich?
Gysi erzählt in der Einleitung: "Der Verlag bat mich, etwas über Rhetorik zu schreiben. Wohl in der Annahme, dass ich rhetorisch irgendwie begabt sei. Das Lob nehme ich frech an. Man muss nicht allen und allem widersprechen." Damit ist schon das Leitmotiv der gesamten 265 Seiten angerissen. Es ist vor allem - und man darf mit Blick auf das gesamte Œuvre wohl auch sagen: mal wieder - ein Buch geworden über Gysis Eitelkeit.
Der Autor mag mit einer besonderen Spielart der Eitelkeit gesegnet sein, nämlich mit einer selbstironischen und koketten Eitelkeit, die auch deshalb erträglich ist, weil er unumwunden zu ihr steht. Einmal stellt er sich selbst die rhetorische Frage: "Beherrscht meine Eitelkeit mich, oder beherrsche ich sie?" Das wäre vielleicht auch einmal ein schöner Titel für eines der viele Gysi-Bücher, die sicherlich noch kommen werden.
Skandalreport eines Insiders? Von wegen
Der nun vorliegende Werk aber lautet "Was Politiker nicht sagen ... weil es um Mehrheiten und nicht um Wahrheiten geht". Es ist ein ebenso reißerischer wie vielversprechender Titel. Aber das Versprechen wird im Buch nicht eingelöst. Was Politiker angeblich alles nicht sagen, sagt Gregor Gysi seinen Lesern jedenfalls nicht.
Es scheint sich hier um eine Art Text-Titel-Schere zu halten. Der wirklich komplett falsche Eindruck, es gehe in diesem Buch darum, wie in der Berliner Republik gelogen, verheimlicht und gemauschelt werde, also um den Skandalreport eines Insiders, ist in der Vermarktungsabteilung des Econ-Verlags offenbar mutwillig in Kauf genommen worden.
"Ein erhellender Grundkurs in politischer Kommunikation", so bewirbt der Verlag dasselbe Buch, in dem der Autor gleich zu Beginn ankündigt, es sei explizit "kein Ratgeberprogramm. Eine Rezeptur schon gar nicht". Offenbar haben Autor und Verleger es unterlassen, sich vorab zumindest mal grundsätzlich auf den Gegenstand dieses Textes zu verständigen.
Immer gern mal ein Witz zwischendurch
Gysi selbst kann man zumindest kein Vortäuschen falscher Tatsachen unterstellen. Ihm ist durchaus unangenehm aufgefallen, dass sehr viele Bücher aus der Spitzenpolitik "säuberlich geordnete Thesen" aufstellen. "Alles so präzise zwischen den Buchdeckeln", staunt er. Bei ihm sei es "eher eine Plauderei" geworden. Und was er da verspricht, das liefert er auch. Ein paar Gedanken zu diesem und jenem im Gregor-Gysi-Plauderton.
Zweifellos gibt es wenige Abgeordnete des Deutschen Bundestags, die unterhaltsamer vor sich hin plaudern können als dieser politische Entertainer. Gysi aber ist vor allem ein Meister des gesprochenen Wortes. Der Schreiber in ihm kann mit dem Redner selten mithalten. Nicht von ungefähr sind die Höhepunkte dieses Buchs vor allem Zitate aus seinen schönsten Ansprachen und Aphorismen. "Ich bin Zentrist, das bedeutet, mit allen Ärger zu haben", so in der Art.
Gysi war immer auch ein guter Verwerter von geliehenen Klugheiten. Das hat nichts Ehrenrühriges, findet er. Zumal er den Großteil seiner Klugheiten von sich selbst leiht. Ein typischer Gysi-Absatz beginnt mit den Worten: "Gerne erwähne ich in diesem Zusammenhang ..."

Diesmal streift er aber kapitelweise recht unzusammenhängend durch seine Biografie. Mal erzählt er von seinem Leben als Anwalt in der DDR, dann erörtert er wieder die Frage: "Warum kann unsere Gesellschaft als Ganzes nicht stolz auf so ein Genie wie Karl Marx sein?" Sicherlich nicht uninteressant, aber sicherlich auch nicht das, was der Klappentext verspricht.
Hin und wieder bemüht sich der Autor redlich darum, beim verlagsseitig gewünschten Thema zu bleiben. Etwa bei seiner kurzen Geschichte der Redekunst von Aristoteles über Protagoras bis zu Gysi. Weniger begeistert zeigt er sich von der Rhetorik Erich Honeckers. Gysi, der immerhin der letzte SED-Vorsitzende war, schreibt über den vorletzten Staatsratsvorsitzenden der DDR, Honecker sei als Wunderkind bekannt gewesen: "Er konnte mit vier Jahren bereits so sprechen, wie er dann mit siebzig sprach." Natürlich ein alter Witz. Gysi erzählt gerne alte Witze, bevorzugt solche, in denen er selbst vorkommt. Einer beginnt so: "1990 stand ich am Berliner Müggelsee, und Jesus Christus kam zu mir." Die Pointe steht 32 Jahre später auf Seite 74.
Die Leser warten vergeblich auf Konkretes
Immer dann, wenn er sich in die konkrete Sprachkritik begibt ("Sei sorgsam mit der Möglichkeitsform"), überzeugt Gysi. Leider bleibt bei ihm aber das meiste in der Form des Allgemeinen und Ungefähren. Das gilt auch für die allenfalls angerissene Titelthese, wonach die gespaltene Zunge nun einmal zu den Waffen des gewieften Rhetorikers gehöre. Wer hier schon mit der Hand im Popcorn auf Beispiele aus dem aktuellen Parlamentsbetrieb wartet, der wartet vergeblich.
"Wir nutzen den Parlamentarismus viel zu wenig für die Pflege origineller Ideen", schreibt Gregor Gysi. Und da ist ja auch was dran. Allerdings hat er sein neues Buch auch nicht unbedingt zur Verbreitung solcher Ideen genutzt.