Europäischer Gerichtshof:Nicht im grünen Bereich

Europäischer Gerichtshof: "Atom und Gas können nicht nachhaltig sein": Greenpeace klagt beim Europäischen Gerichtshof gegen die Taxonomie-Regeln der EU.

"Atom und Gas können nicht nachhaltig sein": Greenpeace klagt beim Europäischen Gerichtshof gegen die Taxonomie-Regeln der EU.

(Foto: imago stock&people)

Warum Umweltverbände gegen die neuen Nachhaltigkeitsregeln der EU für Gas und Atomenergie klagen.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Nachhaltigkeit, dieses der Forstwissenschaft entnommene Wort, ist ein dehnbarer Begriff. In der Maschinerie der EU-Kompromissfindung kann es da gut passieren, dass die Beteiligten ihn weit überdehnen, um den vielen unterschiedlichen Interessen gerecht zu werden. So wie im Fall der sogenannten Taxonomie, eines EU-Gesetzes, das festlegt, welche Investitionen als nachhaltig im Sinne des Klimaschutzes gelten: Seit dem vergangenen Sommer steht fest, dass es auch Atommeiler und Gaskraftwerke umfasst. Damit darf die Finanzindustrie etwa Investitionen in neue Kernkraftwerke als grün vermarkten.

Mehrere Umweltgruppen ergreifen jetzt die wohl letzte Chance, das grüne Prüfsiegel für Gas und Atom noch zu kippen. Greenpeace sowie unter anderem der WWF und Client Earth haben beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg Klage eingereicht gegen den Rechtsakt der EU-Kommission. "Mit der Klage zeigen wir, dass die EU-Kommission schlicht keine Ermächtigung des EU-Gesetzgebers hat, fossiles Gas und Atomkraft als nachhaltig zu labeln", sagt die Umweltrechtlerin Roda Verheyen, die Greenpeace bei der Klage unterstützt. Die Kommission verstoße mit dem Regelwerk gegen den Grundgedanken der Taxonomie-Verordnung: Nur sehr wenige Technologien sollten danach das grüne Label erhalten, sagt Verheyen. Gerade Atomkraft sei weder eine Hilfe beim Übergang zur Treibhausgasneutralität noch frei von erheblichen Umweltrisiken.

Die Verbände befürchten noch mehr Greenwashing

Die Taxonomie-Verordnung ist Teil des Grünen Deals der EU. Sie klassifiziert, welche wirtschaftlichen Aktivitäten klima- und umweltfreundlich sind. Einen verbindlichen Rahmen dafür, was als nachhaltig gilt, gab es zuvor nicht. Die Folge waren ein wildes Durcheinander grüner Finanzprodukte und massives Greenwashing, wobei sich Firmen oder Investmentfonds als umweltverträglicher verkaufen, als sie es wirklich sind. Der Markt für grüne Investments wächst seit Jahren stark, und wer künftig Geld für grüne Projekte einwirbt, kommt potenziell leichter und günstiger an die nötigen Finanzmittel. Die Taxonomie soll so mehr private Gelder in Klimaschutz-Projekte lenken.

Die Verordnung ist seit Anfang 2022 in Kraft, aber die heikle Frage, was für Kern- und Gaskraftwerke gelten soll, wurde vertagt. Das erledigte die Kommission mit einem sogenannten delegierten Rechtsakt, den das EU-Parlament im Sommer mit großer Mehrheit annahm. Nach gescheiterten Einsprüchen bei der Brüsseler Behörde versuchen es die Umweltgruppen nun mit Klagen. Zuvor hatte die österreichische Regierung bereits gegen das Gesetz geklagt, unterstützt von Luxemburg.

Manchen EU-Regierungen gelten Gas- und Atomstrom als wichtige Brückentechnologie auf dem Weg in eine klimaneutrale Zukunft, um den steigenden Strombedarf parallel zum Ausbau der erneuerbaren Energien kostengünstig decken zu können. Insbesondere macht sich Frankreich immer wieder für Atomkraft stark. "Atom und Gas können nicht nachhaltig sein", sagt dagegen Greenpeace-Deutschland-Geschäftsführerin Nina Treu. Tatsache ist: Beides sind nicht erneuerbare Brennstoffe, und Erdgas kann per se nicht CO₂-neutral sein. Aber doch nachhaltig? Es kommt eben ganz darauf an, wie weit man diesen Begriff dehnt.

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