Grafik der Woche:Darum ist Putin so mächtig

Putin wird wohl wieder zum Präsidenten gewählt. Doch warum? Zahlen und Daten zu Putins Russland.

Von Alexander Kauschanski und Julian Hosse

Wenn Macht eine Währung ist, dann ist Wladimir Putin der reichste Mensch der Welt. So zumindest sieht es das Magazin Forbes, das den Präsidenten Russlands 2017 zum zweiten Mal in Folge zum mächtigsten Menschen des Planeten gekürt hat.

Putin hält sein politisches Kapital zusammen. Die Opposition zeigt sich in Russland fast nur noch auf den Straßen. Im politischen System ist sie kaum vertreten. Bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag findet sich unter den Kandidaten keine ernstzunehmende Alternative zu Putin. Er wird dann für sechs weitere Jahre gewählt

Im Westen heftig kritisiert, im eigenen Land verehrt. Wie hat der russische Präsident es geschafft, nach fast 19 Jahren an der Macht so beliebt zu sein?

Als er 1999 die politische Bühne betritt, ist Putin politisch ein unbeschriebenes Blatt. Die Öffentlichkeit kennt den ehemaligen Geheimdienstchef kaum, den der damalige Präsident Boris Jelzin zum Premierminister ernennt.

Das ändert sich schnell. Zwei Monate nach Putins Amtsantritt kommt es in Russland zu Bombenanschlägen auf Wohnhäuser. Sie werden tschetschenischen Terroristen angelastet. Die Bevölkerung ist verängstigt. Putin reagiert schnell und schickt die Armee in den Kampf gegen tschetschenische Rebellen im Kaukasus. Seine Zustimmungswerte nehmen rapide zu. Teuer finanzierte Werbekampagnen schaffen das Image eines aufrichtigen und tatkräftigen Patrioten. Zum Jahrtausendwechsel wird er zum Präsidenten vereidigt.

Einige innenpolitische Maßnahmen schaden Putins Ansehen zwar, etwa die Kürzung von Sozialleistungen. Auch dass er sich eine dritte Amtszeit als Präsident verschafft, führt zu einigem Unmut. Eigentlich erlaubt die russische Verfassung nur zwei aufeinanderfolgende Präsidentschaften. Putin tauscht 2008 gewissermaßen das Amt mit seinem Vertrauten Dmitrij Medwedjew als Premierminister und kandidiert nach dieser Unterbrechung 2011 zum dritten Mal als Präsident.

Doch es gelingt Putin vor allem in den späteren Jahren seiner Amtszeit, seine Beliebtheit vor allem durch außenpolitische Muskelspiele zu steigern. Die Interventionen in Georgien, der Ukraine und Syrien werden von großen Teilen der Bevölkerung begrüßt. Eine Außenpolitik der starken Hand hebt das Selbstwertgefühl vieler Russen an, wofür sie dem Präsidenten dankbar sind. Die Krim-Annexion 2014 löst in Russland geradezu eine Putin-Euphorie aus.

So ist Wladimir Putin für viele Russen zur Symbolfigur geworden, die Selbstbewusstsein und Stärke verkörpert. Wenn Menschen in Europa Putins oberkörperfreie Ritte durch die sibirische Wildnis belächeln, so bewundern ihn viele Landsleute für die Inszenierung seiner Männlichkeit.

Putins Außenpolitik führt dazu, dass die Mehrheit nicht nur ihm, sondern auch der Armee großes Vertrauen entgegenbringt. Selbst die Sicherheitsdienste werden von 46 Prozent der Russen als glaubwürdig wahrgenommen. Mit den übrigen Institutionen, von der restlichen Regierung über die Medien bis zu Unternehmen und Konzernen, sind die meisten Menschen unzufrieden: Die Politiker klüngeln. Die Oligarchen gelten als unverschämt reich. Die russische Bürokratie erscheint vielen als ein Monstrum.

Von diesen Problemen versucht die Regierung in Moskau abzulenken, indem sie auf Patriotismus und das Bild vom starken Russland setzt. Das Militär ist Teil des russischen Alltags. Auf manchen öffentlichen Plätzen und Parks stehen Panzer, auf denen Kinder wie auf Spielgeräten klettern, und vor denen Schulklassen für Bilder posieren. Die Studenten der hochangesehenen Militärakademien laufen in Uniform durch die Städte.

Zum "Tag des Sieges" am 9. Mai veranstaltet der Kreml auf dem Roten Platz in Moskau alljährlich imposante, teure Militärparaden, die viele Russen begeistert im Fernsehen verfolgen. Unter Putin sind die Militärausgaben kontinuierlich gestiegen. Mit etwa 69 Milliarden US-Dollar verfügte das Land 2016 über das dritthöchste Militärbudget der Welt - nach den USA mit 611 Milliarden und China mit 215 Milliarden US-Dollar.

Als es im März 2017 in mehr als 80 Städten Russlands zu Protesten kommt, gilt der Unmut der Demonstranten der Korruption unter Politikern. Zuvor hat Russlands bekanntester Oppositionspolitiker Alexej Nawalny in einem Video schwere Korruptionsvorwürfe gegen Premierminister Medwedjew geäußert. Nawalny ruft zu Protesten auf, viele junge Menschen organisieren sich daraufhin in sozialen Netzwerken - Plattformen, über die der Staat weitgehend keine Kontrolle hat. Dann gehen sie auf die Straßen.

Seitdem finden im ganzen Land immer wieder Demonstrationen statt - zuletzt am 28. Januar 2018. Diesmal weil Nawalny zu den Präsidentschaftswahlen nicht als Kandidat zugelassen wird. Die Opposition kann ihren bekanntesten Repräsentanten nicht wählen.

Die meisten Menschen bleiben bei politischen Protesten sowieso zu Hause. 83 Prozent der Bevölkerung würden an politischen Protesten nicht teilnehmen. Viele Russen fürchten sich auch vor den Sicherheitsbehörden und staatlicher Willkür. Immer wieder greift sich die Polizei bei Protesten Demonstranten raus. Ihnen werden Geld- und Gefängnisstrafen verhängt.

Es lässt sich nicht sagen, ob Putin auch in den kommenden Jahren so beliebt sein wird wie jetzt. Der Bevölkerungsmehrheit geht es nicht wirklich gut. Armut, Preiserhöhungen, Arbeitslosigkeit, Korruption, niedrige Renten und mangelnde staatliche Fürsorge bereiten vielen Menschen Sorgen. Die russische Wirtschaft ist unterentwickelt und sie hängt stark von den Rohstoffpreisen auf dem Weltmarkt ab.

Trotz seiner langen Amtszeit ist es Putin nicht gelungen, diese Probleme zu bewältigen. Eine aggressive Außenpolitik und feindselige Rhetorik vermögen vielleicht das russische Selbstwertgefühl für eine Weile zu heben. Aber sie machen niemanden satt. Ob die von Putin angekündigten Reformpläne aufgehen und die Lebenssituation der Menschen sich verbessern wird, ist nicht sicher - genauso wenig wie eine Normalisierung im Verhältnis zu den westlichen Demokratien. So gewiss Putins Wiederwahl ist, so ungewiss bleibt Russlands Zukunft.

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