Gorleben-Untersuchungsausschuss:Kanzlerin verteidigt Umweltministerin Merkel

Sprachlich vielleicht "noch nicht so perfekt": Die Bundeskanzlerin wehrt sich vor dem Gorleben-Untersuchungsausschuss gegen den Vorwurf, gelogen zu haben, und rechtfertigt ihr Vorgehen als Kohls Umweltministerin. Die Opposition wirft ihr dagegen vor, jeden Zweifel gegen Gorleben ausgeräumt und sich einseitig auf den Standort festgelegt zu haben.

Die Bundeskanzlerin sitzt alleine an einem großen runden Tisch, ihr gegenüber im Halbrund der Ausschuss. Im Hintergrund tuckern Touristenboote über die Spree. Die Sitzung des Gorleben-Untersuchungsausschusses im Bundestag an diesem Donnerstag beginnt mit einem 20-minütigen Statement von Angela Merkel: Sie verteidigt ihr Vorgehen bei der Suche nach einem Atommüllendlager als Bundesumweltministerin in den 1990er Jahren, wehrt Kritik an ihren Entscheidungen ab.

Kanzlerin Merkel Gorleben-Untersuchungsausschuss

Kanzlerin Merkel vor ihrer Vernehmung im Gorleben-Untersuchungsausschuss.

(Foto: REUTERS)

Alle Mutmaßungen und Unterstellungen, die damalige Bundesregierung sei nicht nach Recht und Gesetz vorgegangen, weist die Kanzlerin zu Beginn ihrer Vernehmung zurück. Die damalige Regierung unter Bundeskanzler Kohl (CDU) habe sich die Entscheidungen nicht leicht gemacht. "Auch ich nicht", betont Merkel.

Kernenergie sei in der schwarz-gelben Koalition unter Helmut Kohl eine der "Zukunftstechnologien" gewesen. Außerdem habe man mit der SPD nach einem Konsens über energiepolitische Fragen gesucht. "Diese Grundüberzeugungen teilte ich, ich warb für sie, ich setzte mich mit aller Kraft dafür ein, gegen alle Widerstände", sagt Merkel. Auch habe es damals keinen Anlass gegeben, von Gorleben abzurücken: Mitte der neunziger Jahre habe die Regierung "null Ansatz" gehabt, dass Gorleben nicht geeignet sein könnte.

Keine belastbaren Gründe, Gorleben aufzugeben

Die Opposition wirft Merkel vor, sich einseitig auf den niedersächsischen Standort Gorleben festgelegt zu haben. Merkel beteuert jedoch, dass sie sich bemüht habe, "zu einem Konsens in der Endlagerfrage zu kommen". Gespräche darüber seien aber 1995 gescheitert. "So fand auch die weitere Erkundung des Salzstocks Gorleben vor diesem Hintergrund statt." Es habe keine belastbaren Gründe dafür gegeben, Gorleben wegen Sicherheitsbedenken aufzugeben. Sie habe ihre Entscheidung auf Grundlage fachlicher Einschätzungen getroffen. Die Eignung des Salzstocks Gorleben als Atommüllendlager sei zudem bis heute nicht widerlegt worden.

Für Irritationen hatte nicht zuletzt eine von der Opposition ausgegrabene Pressemitteilung aus dem Jahr 1995 gesorgt, in der Merkel verkündete, alle untersuchten Ersatzstandorte seien weniger geeignet als Gorleben. Diese Aussage traf Merkel zwei Monate vor der Veröffentlichungen dazu in Auftrag gegebener Studien der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), die allerdings gar nicht auf einen Vergleich der Standorte mit Gorleben abzielten. Merkel allerdings teilte damals in einer Presseerklärung mit: "Die Ergebnisse zeigen für mich, dass es keinen Grund gibt, nach Ersatzstandorten zu suchen. Gorleben bleibt erste Wahl."

Im Untersuchungsausschuss rechtfertigt Merkel dies mit dem wesentlich gründlicheren Wissen, dass man seinerzeit über Gorleben hatte, während andere Standorte nur nach Literatur- und Archivrecherche überprüft wurden. Die Kanzlerin sagte dazu, ihre damalige Aussage sei eine Schlussfolgerung aus dem Gesamtbild gewesen. Devise sei nicht gewesen, um jeden Preis auf Gorleben zu setzen. "Nichtsdestotrotz konnten wir daran festhalten." Auf den Vorwurf, gelogen zu haben, entgegnete Merkel, dass sie damals sprachlich vielleicht "noch nicht so perfekt" gewesen sei.

Die Obfrau der SPD im Ausschuss, Ute Vogt, wirft der Kanzlerin jedoch vor vor, sie habe nicht auf Grundlage wissenschaftlicher Kriterien, sondern aufgrund politischer Erwägungen entschieden. "Merkel hat damals verhindert, dass es eine alternative Suche gab", sagt Vogt. Auch kritisiert sie, Merkel habe die Ergebnisse des umstrittenen BGR-Gutachtens bewusst wahrheitswidrig dargestellt. Ähnlich sieht es die Obfrau der Grünen, Sylvia Kotting-Uhl: "Da wurde eine wissenschaftliche Arbeit verdreht, um die Öffentlichkeit zu beruhigen".

Während der mehrstündigen Befragung geht es immer wieder um die Studie. Als eine Linken-Abgeordnete Merkel vorhält, sie möge sich nicht ständig wiederholen, erwidert die Kanzlerin: "Das ist ein Beispiel für Konsistenz: Sie fragen das gleiche, ich antworte das gleiche. Es wäre schlimm, wenn es anders wäre".

Eingeschränkte Erkundung zu Lasten der Sicherheit

Kritisch werten die Mitglieder des Ausschusses zudem die Entscheidung, die Erkundungen auf den nordöstlichen Teil des Salzstocks zu beschränken. Hintergrund der Planänderung waren die Rechte an dem Salz über dem geplanten Bergwerk, die dem Bund fehlten. Merkel betont nichtsdestotrotz, die Änderungen seien erst nach reiflicher Überlegung erfolgt. Zwar hätten auch Experten des Bundesumweltministeriums das nicht für eine "optimale Erkundung" gehalten. Letztendlich sei die Entscheidung aber auf "guter fachlicher Grundlage" gefallen.

Der Obmann der Unionsfraktion im Ausschuss, Reinhard Grindel (CDU), weist die Kritik an Merkel zurück. Es gebe keine andere Umweltministerin, die die Suche nach alternativen Standorten so vorangetrieben habe wie Merkel, sagt Grindel vor Beginn der Sitzung. Zugleich räumt er ein, dass eine Lehre aus dem jahrzehntelangen Streit um Gorleben sei, dass es eine ergebnisoffene Endlagersuche nur geben könne, wenn es auch Alternativen gebe. Man dürfe nicht alle Erwägungen nur auf einen Standort konzentrieren, sagte der CDU-Politiker.

Merkel war von 1994 bis 1998 Bundesumweltministerin und damit zuständig für die Suche nach einem Endlager für radioaktiven Müll. Mit der Befragung der Kanzlerin endet die Zeugenvernehmung des seit 2010 tagenden Ausschusses. Er befasst sich mit der Frage, ob insbesondere CDU-Regierungen Einfluss genommen haben, um Gorleben trotz aller Zweifel als Endlager für hoch radioaktive Abfälle durchzudrücken. Mehr als 50 Zeugen wurden gehört und 2800 Aktenordner geprüft.

Mit Material von dpa und dapd.

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