Gordon Brown:Die Wutprobe

Tobsuchtsanfälle in der Downing Street: Ein Choleriker regiert Großbritannien. Premier Brown soll mit Telefonen werfen und Mitarbeiter prügeln.

Wolfgang Koydl

Eigentlich dürfte es ja keine Überraschung gewesen sein: Dass in Downing Street, wo Gordon Brown residiert, mitunter Telefonapparate, Schnellhefter und anderes wurffähiges Bürozubehör durch die Luft fliegen, das war der breiten Öffentlichkeit schon lange bekannt. Britanniens Premierminister ist ein Choleriker, und seine Tobsuchtsanfälle sind legendär.

Gordon Brown: Hat wegen seiner Zornesausbrüche ein Imageproblem: Großbritanniens Premier Gordon Brown.

Hat wegen seiner Zornesausbrüche ein Imageproblem: Großbritanniens Premier Gordon Brown.

(Foto: Foto: Reuters)

Doch Browns jüngster Auftritt im Fernsehen erstaunte die Nation denn doch: Wohl zum ersten Mal in der Geschichte musste ein amtierender Regierungschef Vorwürfe dementieren, dass er seine Untergebenen zuweilen prügele. "So etwas mache ich nicht", sagte er. Noch nie in seinem Leben habe er jemanden geschlagen, und wenn er im Zorn mal mit einem Gegenstand werfe, dann sei es "eine Zeitung oder so etwas".

Die Frage, ob er charakterlich für das Amt des Premierministers geeignet sei, hat Brown seit dem ersten Tag seiner Amtszeit verfolgt. Dass ebendiese Befähigung nun, nur zehn Wochen vor dem voraussichtlichen Termin für die nächste Unterhauswahl, die nationale Debatte beherrscht, ist dem Buch eines angesehenen politischen Journalisten zu verdanken. Andrew Rawnsley hat seinen Aufzeichnungen über die vergangenen beiden Regierungsperioden der Labour-Partei den doppeldeutigen Titel "The End of the Party" gegeben, was zweierlei bedeuten kann: Entweder ist die Partei am Ende - oder die Party zu Ende.

"Die sind alle hinter mir her"

Downing Street hat die "bösartigen Unterstellungen" zwar zurückgewiesen, aber Rawnsley, der 500 Zeugen befragt haben will, verteidigt seine Quellen als "24-karätig". Einer dieser Informanten ist der mächtigste Mann der britischen Ministerialbürokratie: Sir Gus O'Donnell - als Kabinettssekretär der Chef aller Regierungsbeamten -, sah sich angesichts zunehmender Beschwerden und Klagen von Mitarbeitern über den pöbelnden Premier gezwungen, Brown zur Rede zu stellen: "So kann man das nicht machen", will er ihn ermahnt haben.

Wie Brown es freilich machte, dafür liefert das Buch zahlreiche Beispiele: Eine Sekretärin kippte er kurz entschlossen aus ihrem Stuhl, weil sie ihm zu langsam war, statt ihrer übernahm er selbst den Platz am Computer. Seinen stellvertretenden Stabschef packte er, so Rawnsley, am Anzugrevers und schrie ihm ins Gesicht: "Die sind alle hinter mir her." Als er europäische Botschafter treffen sollte, brannte ihm die Sicherung durch: "Warum zwingt ihr mich, diese Scheißer zu empfangen?"

Immerhin behandelt Brown jedermann gleichermaßen grob: Telefonistinnen ebenso wie seinen Schatzkanzler. Letzteren putzte er herunter, als der 2008 die aufziehende Rezession als schlimmste Wirtschaftskrise seit 60 Jahren angekündigt hatte. "In sechs Monaten" sei alles ausgestanden, brüllte Brown Alistair Darling an. Es dauerte anderthalb Jahre, bevor Britannien wieder Wachstum verzeichnen konnte.

Die Spin-Doktoren in der Downing Street bemühen sich derweil um ein positiveres Image für ihren Chef. Ein TV-Interview, in dem Brown Tränen über den Tod seiner behindert geborenen Tochter vergoss, gilt als Meilenstein bei diesen Anstrengungen. Brown selbst gab sich ungewohnt zerknirscht, als er vor Wählern eingestand: "Ich weiß wirklich, dass ich nicht perfekt bin." Paradoxerweise haben sich aber seine Aussichten verbessert: Die Labour-Party hat den Vorsprung der Konservativen in den Umfragen von 13 auf nunmehr sechs Prozent halbiert. Und auch Browns persönliche Popularität ist gestiegen - von minus 50 auf minus 21 Punkte.

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