Reaktionen auf den Tod Michail Gorbatschows"Deutschland bleibt ihm verbunden"

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Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und der frühere Staatschef der UdSSR Gorbatschow 2011 vor dem Brandenburger Tor, das da schon längst nicht mehr die Grenze zwischen West und Ost markierte. "Er hat vorgelebt, wie ein einzelner Staatsmann die Welt zum Guten verändern kann", schreibt sie nun.
Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel und der frühere Staatschef der UdSSR Gorbatschow 2011 vor dem Brandenburger Tor, das da schon längst nicht mehr die Grenze zwischen West und Ost markierte. "Er hat vorgelebt, wie ein einzelner Staatsmann die Welt zum Guten verändern kann", schreibt sie nun. (Foto: Tobias Schwarz/dpa)

Angela Merkel erinnert daran, dass Gorbatschow die Wiedervereinigung möglich gemacht hat - und Olaf Scholz bricht mit einer ungewöhnlichen Bemerkung diplomatische Gepflogenheiten.

Von Paul-Anton Krüger

Die heikelste politische Frage zum Tod von Michail Gorbatschow lässt der Kanzler unbeantwortet: Ob er es sich vorstellen könne oder wünschen würde, nach Moskau zu reisen zur Beisetzung des letzten Generalsekretärs der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, wird Olaf Scholz nach der Kabinettsklausur in Meseberg gefragt. "Ich glaube, das ist jetzt nicht der Ort oder der Zeitpunkt, über Reisen zu reden", sagt der Kanzler, nutzt die Frage aber für einen Appell in Richtung Moskau, wo am Mittwochmorgen laut dem Kreml nicht entschieden war, ob Gorbatschow ein Staatsbegräbnis zuteilwerden soll: "Ich hoffe, dass der russische Staat seinem früheren Staats- und Regierungschef die Ehre erweist, die ihm gebührt", mahnt der deutsche Regierungschef.

Scholz spielt mit dieser für diplomatische Gepflogenheiten doch eher ungewöhnlichen Bemerkung darauf an, dass Gorbatschows Wirken in seiner Heimat spätestens seit dem Regime von Präsident Wladimir Putin deutlich negativer gesehen wird als in Deutschland. Scholz hatte Gorbatschow zuvor bereits gewürdigt. Er sei ein "mutiger Reformer" gewesen und "ein Staatsmann, der vieles gewagt hat". Deutschland werde nicht vergessen, dass die Perestroika möglich gemacht habe, dass "in Russland der Versuch unternommen werden konnte, eine Demokratie zu etablieren, und dass Demokratie und Freiheit in Europa möglich geworden sind, dass Deutschland vereint werden konnte und der Eiserne Vorhang verschwunden ist".

Bundeskanzler Olaf Scholz tritt bei der Kabinettklausur auf Schloss Meseberg für ein Statement zum Tod von Gorbatschow vor die Kameras.
Bundeskanzler Olaf Scholz tritt bei der Kabinettklausur auf Schloss Meseberg für ein Statement zum Tod von Gorbatschow vor die Kameras. (Foto: Political-Moments/Imago)

Die Demokratiebewegungen in Mittel- und Osteuropa hätten ebenfalls davon profitiert, fügte der Kanzler hinzu, um den Bogen zu schlagen zur Situation heute: Gorbatschow sei in einer Zeit gestorben, "in der nicht nur die Demokratie in Russland gescheitert ist", anders könne man die Lage nicht beschreiben, sondern "auch Russland und der russische Präsident Putin neue Gräben in Europa zieht und einen furchtbaren Krieg gegen ein Nachbarland, die Ukraine, begonnen hat".

Es ist dieser Krieg, der jede Reise nach Moskau politisch äußerst heikel machen würde. Russland hat zudem etliche westliche Politiker mit Einreiseverboten belegt, unter ihnen US-Präsident Joe Biden, und seinen Luftraum für "unfreundliche Staaten" gesperrt. Jede Überlegung einer Teilnahme bedürfte also ohnehin engster diplomatischer Abstimmung. Die Aussicht, womöglich mit Putin am Grab zu stehen, dürfte das Übrige tun.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vermied derlei bei seinem offiziellen Beileidstelegramm, indem er es an Gorbatschows Tochter richtete, Irina Wirganskaja. "Ich verneige mich vor einem großen Staatsmann. Deutschland bleibt ihm verbunden, in Dankbarkeit für seinen entscheidenden Beitrag zur deutschen Einheit, in Respekt für seinen Mut zur demokratischen Öffnung und zum Brückenschlag zwischen Ost und West, und in Erinnerung an seine große Vision von einem gemeinsamen und friedlichen Haus Europa", schreibt das deutsche Staatoberhaupt darin.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Gorbatschow im Oktober 2017 in der Residenz des deutschen Botschafters in Moskau.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Gorbatschow im Oktober 2017 in der Residenz des deutschen Botschafters in Moskau. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Auch er verweist darauf, dass Gorbatschow die Entwicklung Russlands in den vergangenen Jahren kritisch gesehen habe. Man habe spüren können, wie sehr er daran litt, dass sein Traum in immer weitere Ferne rückte. "Heute liegt der Traum in Trümmern, zerstört durch den brutalen Angriff Russlands auf die Ukraine", fügte der Bundespräsident hinzu. Steinmeier hatte sich bei einem Russlandbesuch 2017 mit Gorbatschow getroffen und schrieb ihm zwei Jahre später zum 30. Jahrestag des Mauerfalls einen persönlichen Dankesbrief.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, protokollarisch zweithöchste Repräsentantin Deutschlands, würdigte auf Twitter, dass Gorbatschow "unsere Welt verbessert" habe . "Ohne seinen Mut und sein Engagement wäre die Deutsche Einheit und das Ende des Kalten Krieges so nicht Wirklichkeit geworden", schrieb die SPD-Politikerin.

Altkanzlerin Angela Merkel, deren politische Karriere ohne den Fall der Mauer und die deutsche Wiedervereinigung nicht möglich gewesen wäre, erklärte, Gorbatschow habe Weltgeschichte geschrieben. "Er hat vorgelebt, wie ein einzelner Staatsmann die Welt zum Guten verändern kann", schreibt sie. "Ohne seinen Mut zu Glasnost und Perestroika, also zu Offenheit und Umbau, wäre auch die friedliche Revolution in der DDR nicht möglich gewesen."

Merkel erinnert an die Angst, die sie und andere in der DDR 1989 hatten, ob wie 1953 wieder Panzer rollen würden, als die Menschen "Wir sind das Volk" und später "Wir sind ein Volk" skandierten. Und sie erinnert daran, dass Gorbatschow der greisen DDR-Führung den Satz "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben" vorgehalten hat - jedenfalls sinngemäß, war das Zitat doch in dieser knackigen Form von zwei Agenturjournalisten geprägt worden. Gorbatschow habe sich dem Ruf nach Freiheit in der DDR nicht mehr entgegengestellt, schreibt Merkel. Die Welt verliere einen "einzigartigen Weltpolitiker". Eine Teilnahme Merkels an der Beisetzung sei im September nicht möglich, weil eine Knieverletzung sie an längeren Reisen hindere, teilte eine Sprecherin mit.

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