Reaktionen auf den Tod Gorbatschows:"Sein Engagement hat unsere Geschichte verändert"

Michail Gorbatschow 1989 in Bonn

Der damalige Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, steht im Juni 1989 inmitten einer begeisterten Menschenmenge auf dem Bonner Marktplatz.

(Foto: Frank Kleefeldt/dpa)

Zahlreiche Bundesminister gedenken des Verstorbenen. Gorbatschow habe den Weg für ein freies Europa geebnet, sagt EU-Kommissionschefin von der Leyen. Bundeskanzler Scholz zieht eine Verbindung in die Gegenwart und Putin schickt ein Telegramm.

Michail Gorbatschow ist tot. Der russische Friedensnobelpreisträger und ehemalige sowjetische Staatschef ist im Alter von 91 Jahren in Moskau gestorben. Weltweit reagieren Politiker mit Trauer auf die Nachricht. Eine Auswahl:

Bundeskanzler Olaf Scholz würdigt Gorbatschow als mutigen Reformer, der vieles gewagt und mit seiner Politik ermöglicht habe, "dass Deutschland vereint werden konnte und der Eiserne Vorhang verschwunden ist. Wir wissen, dass er in einer Zeit gestorben ist, in der nicht nur die Demokratie in Russland gescheitert ist - anders kann die gegenwärtige Lage dort nicht beschrieben werden -, sondern auch Russland und der russische Präsident Putin neue Gräben in Europa zieht und einen furchtbaren Krieg gegen ein Nachbarland, die Ukraine, begonnen hat. Gerade deshalb denken wir an Michail Gorbatschow und wissen, welche Bedeutung er für die Entwicklung Europas und auch unseres Landes in den letzten Jahren hatte."

Außenministerin Annalena Baerbock bekundet Gorbatschow die ewige Dankbarkeit Deutschlands. "Michael Gorbatschow hat sich in Schicksalsmomenten unserer Geschichte von Frieden und der Verständigung zwischen den Menschen leiten lassen. Wir trauern um einen Staatsmann, dem wir dafür ewig dankbar sind."

Finanzminister Christian Lindner betont, dass Gorbatschows Einsatz für Frieden und Freiheit in Europa unvergessen bleibe. "Sein Engagement hat unsere Geschichte verändert. Wegbereiter für das Ende des Kalten Krieges und eine treibende Kraft der Deutschen Einheit: Michail Gorbatschow haben wir so viel zu verdanken."

Auch zahlreiche weitere Politikerinnen und Politiker in Deutschland, wo Gorbatschow stets besonders beliebt war, würdigen den Verstorbenen: Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) schreibt: "Ohne Gorbatschow wären die friedlichen Revolutionen in den Ländern des Ostblocks, bei uns, so nicht denkbar gewesen. Seine Worte haben uns, haben mich, ermutigt, stark gemacht."

CDU-Chef Friedrich Merz schreibt: "Die CDU trauert um einen Staatsmann, dem Deutschland vertrauen konnte und der uns vertraut hat." Ohne ihn wäre "die deutsche Einheit in Freiheit" nicht möglich gewesen.

CSU-Chef Markus Söder würdigt Gorbatschow als einen Mann, "der früher als andere die Zeichen der Zeit erkannte, den Kalten Krieg beendete und eine lange Periode des Friedens möglich machte. Den Weg zur Deutschen Einheit hat er ohne Zögern eröffnet."

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) nennt den einstigen Sowjetpräsidenten einen "Jahrhundertpolitiker". Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) schreibt: "Sein Tod bedrückt. In dieser Zeit noch mehr." Grünen-Politiker Jürgen Trittin twittert: "Ich verneige mich vor einem großen Politiker des Friedens Michael #Gorbatschow RIP".

"Kann ein einzelner Mensch die Welt verändern?", fragt der ehemalige CDU-Chef Armin Laschet auf Twitter und antwortet sogleich selbst: "Ja. Er kann. Keine Gewalt, keine Panzer, Abzug von 350 000 sowjetischen Soldaten aus Deutschland. Freiheit für Millionen in Mittel-Osteuropa. Deutsche Einheit. Undenkbar ohne Michail Gorbatschow."

Von der Linkspartei äußere sich Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch. "Gorbatschow hat die Welt verändert", schreibt er und erinnert an die Schlagworte von Gorbatschows neuer Politik, die in der DDR von vielen begierig aufgenommen wurden: Perestroika (Umgestaltung) und Glasnost (Offenheit). "Das einzige Autogramm, das ich mir jemals holte, ist von ihm."

"Michail Gorbatschow hat auch mein Leben grundlegend verändert. Ich werde das nie vergessen", schreibt die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Möge die Erinnerung an seine historische Leistung gerade in diesen schrecklichen Wochen und Monaten des Krieges Russlands gegen die Ukraine ein Innehalten möglich machen", heißt es in einer Erklärung Merkels, die auf ihrer Internetseite veröffentlicht wurde. Sie habe die Todesnachricht mit großer Trauer vernommen. "Gorbatschow hat Weltgeschichte geschrieben. Ohne ihn wäre die friedliche Revolution in der DDR nicht möglich gewesen. "Ich kann noch heute die Angst nachspüren, die ich zusammen mit vielen Menschen in der DDR 1989 hatte, ob wie 1953 wieder Panzer rollen würden, als wir 'Wir sind das Volk' und später 'Wir sind ein Volk' riefen. Doch dieses Mal - anders als 1953 - rollten keine Panzer, fielen keine Schüsse."

Reaktionen auf den Tod Gorbatschows: Michail Gorbatschow und Angela Merkel im Jahr 2011 bei einer Ausstellung am Brandenburger Tor in Berlin.

Michail Gorbatschow und Angela Merkel im Jahr 2011 bei einer Ausstellung am Brandenburger Tor in Berlin.

(Foto: IMAGO/Eventpress Radke/IMAGO/Eventpress)

Auch international ist die Anteilnahme groß. UN-Generalsekretär António Guterres bezeichnet Gorbatschow als "einzigartigen Staatsmann", der den Lauf der Geschichte verändert habe. In einer Mitteilung heißt es: "Er hat mehr als jeder andere dazu beigetragen, den Kalten Krieg friedlich zu beenden."

US-Präsident Joe Biden nennt Gorbatschow einen "Mann mit einer bemerkenswerten Vision". Er habe sich in der Sowjetunion nach Jahrzehnten brutaler politischer Unterdrückung für demokratische Reformen eingesetzt. "Dies waren die Taten einer außerordentlichen Führungspersönlichkeit - einer, die die Vorstellungskraft besaß, eine andere Zukunft für möglich zu halten, und den Mut hatte, ihre gesamte Karriere zu riskieren, um dies zu erreichen. Das Ergebnis war eine sicherere Welt und größere Freiheit für Millionen von Menschen", so Biden.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellt die Bedeutung des ehemaligen sowjetischen Staatschefs für Europa heraus. "Er ebnete den Weg für ein freies Europa. Dieses Vermächtnis werden wir nie vergessen."

Der französische Präsident Emmanuel Macron würdigt Gorbatschow als "Mann des Friedens". Seine Entscheidung habe den Russen "einen Weg der Freiheit" geöffnet.

Der britische Premierminister Boris Johnson schreibt: "Ich habe immer den Mut und die Integrität bewundert, die er gezeigt hat, indem er den Kalten Krieg zu einem friedlichen Ende brachte. Zu einer Zeit von Putins Aggression in der Ukraine bleibt sein unermüdliches Engagement für die Öffnung der sowjetischen Gesellschaft ein Vorbild für uns alle." Den Krieg in der Ukraine soll Gorbatschow, Sohn eines Russen und einer Ukrainerin, abgelehnt haben.

Ausführlich äußert sich auch der prominente liberale russische Oppositionspolitiker Grigori Jawlinski. "Gorbatschow gab uns die Freiheit. Er hat Millionen von Menschen die Freiheit gegeben - in Russland und seinem Umfeld und noch dazu der Hälfte Europas." Jawlinski und seine Oppositionspartei Jabloko gehören zu den letzten Resten der Opposition in Russland. Es liege auch heute in der Verantwortung der Russen, die damals geschenkte Freiheit zu nutzen, schreibt Jawlinski. Er hebt zudem hervor: Gorbatschow habe sein Volk trotz unbegrenzter Machtbefugnisse nicht bestohlen. "Bei allen Herausforderungen an der Macht ist es Gorbatschow gelungen, seine Würde zu erhalten und ein Mensch zu bleiben."

Der prominente russische Außenpolitiker Konstantin Kossatschow bezeichnet Gorbatschows Tod als Tragödie für sein Land. "Gorbatschow hat einen Weg geebnet, den unser Volk in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten sonst nicht hätte gehen können", schreibt er bei Telegram. Dieser Weg sei schwierig gewesen - anders als in den 70 Jahren zuvor sei er aber in die richtige Richtung gegangen. "Bei aller Widersprüchlichkeit der Ergebnisse verdient Gorbatschow Respekt und er verdient es, dass an ihn erinnert wird." Bei vielen in Russland ist Gorbatschow bis heute nicht beliebt.

Und was sagt Wladimir Putin? Dem derzeitigen russischen Präsidenten hat Gorbatschow ablehnend gegenübergestanden. Mehrfach hat er ihn aufgefordert, die Freiheit der Medien und Wahlen nicht weiter einzuschränken. Putin lässt in der Nacht mitteilen, er sei "in tiefer Trauer" und werde der Familie am Mittwochmorgen ein Telegramm schicken. "Michail Gorbatschow war ein Politiker und Staatsmann, der gewaltigen Einfluss auf den Lauf der Weltgeschichte ausgeübt hat", heißt es darin.

Reaktionen auf den Tod Gorbatschows: Der russische Präsident Wladimir Putin und der frühere sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow (links) sprechen im Dezember 2004 auf einer Pressekonferenz im Schloss Gottorf in Schleswig-Holstein miteinander.

Der russische Präsident Wladimir Putin und der frühere sowjetische Staatspräsident Michail Gorbatschow (links) sprechen im Dezember 2004 auf einer Pressekonferenz im Schloss Gottorf in Schleswig-Holstein miteinander.

(Foto: Carsten Rehder/dpa)

Gorbatschow habe das Land zu einer Zeit "dramatischer Veränderungen" geführt und den großen Reformbedarf erkannt. Er habe versucht, seine Lösungen für das Problem anzubieten, schreibt Putin. Zudem ging der russische Präsident auf Gorbatschows Engagement nach dessen Amtszeit als Staats- und Parteichef ein: "Besonders betonen möchte ich die große humanitäre, wohltätige und aufklärerische Tätigkeit, die Michail Sergejewitsch Gorbatschow all die letzten Jahre ausübte."

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