Google:Geld stinkt doch

Vor einigen Jahren zog sich der Konzern aus China zurück, um Hackern und der Zensur zu trotzen. Das brachte viel Beifall. Nun will Google offenbar unbedingt nach China zurück - doch der Preis dafür ist hoch.

Von Andrian Kreye

Google will nach China. Dagegen ist erst einmal nichts einzuwenden. So ziemlich alle Weltkonzerne wollen dorthin. Der Markt ist zu groß, um sich nicht daran zu beteiligen. Für einen Digitalkonzern bringt so ein Unterfangen allerdings ganz eigene ethische Fragen mit sich. China hat seinen digitalen Raum gegen den Rest der Welt rigoros abgeschottet und nach innen rabiat reglementiert.

Google will dem nun offenbar entgegenkommen. Nach derzeitigem Informationsstand soll eine chinesische Google-App mit dem Arbeitstitel "Dragonfly" (Libelle) das Netz nach den Vorgaben der Partei durchforsten. Webseiten mit Inhalten, die sich mit Themen wie Menschenrechten, Demokratie oder Religion auseinandersetzen, sollen herausgefiltert werden. Besonders heikel sind die Pläne, weil Google schon einmal in China präsent war, sich dann aber wegen Hackerangriffen und strenger Zensurvorgaben 2010 aus dem Land zurückgezogen hat. Die Verlagerung der chinesischsprachigen Abteilungen nach Hongkong führte zu einem Rückgang des chinesischen Marktanteils von mehr als 36 Prozent im Jahr 2009 auf weniger als zwei Prozent im Jahre 2013.

Googles Rückzug aus dem chinesischen Zensursystem brachte dem Konzern damals viel Beifall aus der demokratischen Welt. Beifall, der für einen digitalen Konzern Geld wert ist. Vertrauen und ein Wertekanon sind im Silicon Valley Kapital. Immerhin lautete das Firmenmotto "Don't be evil" ("Seid nicht böse"). 2015 wurde das zwar gegen "Do the right thing" ("Tut das Richtige") ausgetauscht, und im April 2018 aus der Einleitung des firmeninternen Verhaltenskodex entfernt. Der Konformismus, den Google mit "Dragonfly" beweist, steht aber gegen die ethischen Richtlinien, mit denen Firmen aus dem Silicon Valley hausieren gehen. Sie brüsten sich ganz allgemein damit, die "Welt zu einem besseren Ort" zu machen.

Auf dem ursprünglichen Markt Googles, in Amerika und Europa also, kommt die Meldung zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Ed Snowdens NSA-Enthüllungen, die Serie der Facebook- und Twitter-Skandale sowie die Bekenntnisse prominenter Entwickler, Smartphones und soziale Medien funktionierten über Suchtmechanismen, haben zum "teclash" geführt, zu einem allgemeinen Misstrauen gegenüber der digitalen Industrie. Auch bei den eigenen Mitarbeitern regt sich Widerstand gegen "Dragonfly". Diese hatten im Juni schon erzwungen, dass Google seine Aufträge für militärische Anwendungen künstlicher Intelligenz (KI) kündigte.

Der Konzern läuft Gefahr, in China seine Glaubwürdigkeit zu verspielen

Auf der anderen Seite denkt Google strategisch. Es ist ja nicht nur der Internetmarkt, der in China so verführerisch ist. Die Welt steht an der Schwelle zu einem neuen Schub der Digitalisierung, der von den jüngsten Entwicklungen der KI angetrieben wird. Da hat China schon einige Vorsprünge. Eine Basis dort verschafft einem Konzern also nicht nur neue Kundschaft, sondern auch Zugang zu einem Pool von Ausnahmetalenten.

Google ist derzeit nicht die einzige Firma, die es nach China drängt. Auch Facebook soll Pläne haben. Für Europa ist das eine Chance. Der Wertekanon und die Vorreiterrolle bei der gesetzlichen Regelung des digitalen Raums sind für die EU ein "unique selling point", ein Verkaufsargument. Langfristig werden Werte und klare Regelungen die digitale Industrie in Europa viel robuster machen. Das ist sehr viel mehr wert, als ein kurzfristiger Marktvorsprung im autokratischen China.

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